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Das Reich der Sieben Städte

Das Reich der Sieben Städte

Titel: Das Reich der Sieben Städte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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gepackt.
    Der Schrei nahm kein Ende. Wut und unerträglicher Schmerz verschmolzen miteinander wie zwei Stränge in einem Seil, das immer mehr gespannt wird. Das Geräusch legte sich wie eine Schlinge um ihren Hals, blockierte die äußere Welt, die Luft, das Licht.
    Irgendetwas prallte auf den Boden. Das Felsgestein unter ihr erzitterte, schleuderte sie in die Höhe. Sie landete hart auf einem Ellbogen. Die Knochen ihres Arms vibrierten wie eine Schwertklinge. Der Glanz der Sonne wurde schwächer, während Felisin verzweifelt nach Luft schnappte. Ihre weit aufgerissenen Augen erhaschten einen kurzen Blick auf etwas jenseits der Senke, das sich in einer wogenden Staubwolke schwerfällig von der Ebene erhob. Ein zweizeiliger, mit verfilztem Fell bedeckter Huf, der viel zu groß war, um ihn wirklich zu erfassen, stieg in die Höhe, wurde himmelwärts in eine mitternächtliche Düsternis gezogen.
    Die Tätowierungen waren von den Steinen in die Luft gesprungen, ein blaufleckiges Netz, das in verrückten, zuckenden Klecksen wuchs, sich in alle Richtungen ausbreitete.
    Sie konnte nicht atmen. Ihre Lungen brannten. Sie starb, wurde, ohne Luft zu bekommen, in die Leere gesogen, die der Schrei eines Gottes war.
    Plötzlich herrschte Stille – draußen, jenseits der klingenden Echos in ihrem Schädel. Luft umfächelte sie, kalt und bitter und doch süßer als alles, was sie bisher gekannt hatte. Hustend und Galle spuckend rappelte Felisin sich auf, stützte sich auf Hände und Knie, hob zitternd den Kopf.
    Der Huf war verschwunden. Die Tätowierung hing wie ein Nachbild vor dem Himmel, verblasste langsam, noch während sie zusah. Eine Bewegung erweckte ihre Aufmerksamkeit, und sie senkte den Blick, schaute Baudin an. Er hatte auf den Knien gelegen, die Hände schützend seitlich an den Kopf gepresst. Jetzt richtete er sich langsam auf; blutige Tränen rannen ihm übers Gesicht.
    Felisin mühte sich wacklig auf die Beine. Der Boden unter ihren Füßen fühlte sich merkwürdig flüssig an. Sie blickte nach unten, blinzelte stumm das Kalkstein-Mosaik an. Das wirbelnde Muster der Tätowierung zitterte noch immer, ging von ihren Mokassins aus, während sie sich bemühte, das Gleichgewicht zu halten. Die Risse, die Tätowierungen ... sie gehen tiefer und tiefer, ganz tief hinunter. Als ob ich auf einem Bett aus meilenhohen Nägeln stünde, und jeder Nagel wird nur von denen, die ihn umgeben, aufrecht gehalten. Bist du aus dem Abgrund gekommen, Fener? Man sagt, dass dein geheiligtes Gewirr ans Chaos grenzt. Fener? Bist du jetzt unter uns? Sie drehte sich um und sah Baudin in die Augen. Sie waren stumpf – eine Reaktion auf den Schock –, doch sie konnte auch den ersten Schimmer von Furcht in ihnen aufschimmern sehen.
    »Wir wollten die Aufmerksamkeit des Gottes«, sagte sie, »nicht den Gott höchstpersönlich!« Ein Zittern durchlief ihren Körper. Sie umschlang ihren Oberkörper mit den Armen, zwang sich dazu, weiterzusprechen. »Und er wollte auch nicht kommen!«
    Er zuckte kurz zusammen, dann rollte er die Schultern – es hätte jedoch auch ein Achselzucken sein können. »Aber jetzt ist er wieder weg, oder?«
    »Bist du dir da so sicher?«
    Er ließ die Frage unbeantwortet, sah stattdessen Heboric an. Nachdem er den vormaligen Priester einen Augenblick gemustert hatte, sagte er: »Er atmet jetzt gleichmäßiger. Und er sieht nicht mehr so verrunzelt und ausgedörrt aus. Irgendetwas ist mit ihm geschehen.«
    Sie schnaubte. »Die Belohnung dafür, dass wir um Haaresbreite alle in den Boden gestampft worden wären.«
    Baudin grunzte; seine Aufmerksamkeit war plötzlich auf etwas anderes gerichtet.
    Sie folgte seinem Blick. Die Wasserpfütze war verschwunden, ausgetrocknet. Nur der Teppich aus Kapmotten-Kadavern war noch übrig. Felisin stieß ein bellendes Lachen aus. »Na, das war ja eine tolle Rettung.«
    Heboric rollte sich langsam zu einem Ball zusammen. »Er ist hier«, flüsterte er.
    »Wir wissen es«, sagte Baudin.
    »Im Reich der Sterblichen ...«, fuhr der Ex-Priester nach einem Augenblick fort, »... ist er verwundbar.«
    »Du betrachtest es von der falschen Seite«, mischte Felisin sich ein. »Der Gott, den du nicht länger verehrst, hat dir deine Hände genommen. Und jetzt hast du ihn auf unsere Ebene heruntergezogen. Leg dich nicht mit Sterblichen an.«
    Irgendetwas – war es ihr kalter Tonfall oder ihre brutalen Worte ? – drang zu Heboric durch. Er streckte vorsichtig die Glieder, hob den Kopf, setzte sich

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