Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Reich der Sieben Städte

Das Reich der Sieben Städte

Titel: Das Reich der Sieben Städte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
Vom Netzwerk:
verletzen. Die einzige Ausnahme saß am Ende des Kartentischs auf dem Stuhl des Kapitäns, als habe sie den Vorsitz über die Bühne des Vermummten höchstpersönlich. Ein Speer ragte aus der Brust der Leiche, und dieser Speer war auch durch den Stuhl gerammt worden. Die Vorderseite der Gestalt war blutverschmiert und glänzte, und das Blut hatte sich in ihrem Schoß gesammelt. Es hatte aufgehört zu fließen, sah jedoch noch immer nass aus.
    »Sind das Tiste Andii?«, fragte Gesler flüsternd.
    »Sie sehen beinahe so aus«, erwiderte Kulp leise, »aber nicht ganz.« Er trat in die Kabine. »Ihre Haut ist grau, nicht schwarz. Und außerdem sehen sie nicht besonders ... kultiviert aus.«
    »Die Tiste Andii von Drift Avalii sollen angeblich ziemlich barbarisch gewesen sein – wobei man natürlich sagen muss, dass niemand, der noch am Leben ist, jemals auf der Insel war.«
    »Zumindest ist niemals jemand zurückgekehrt«, räumte Kulp ein. »Aber die hier tragen Felle, die kaum bearbeitet sind. Und schau dir ihren Schmuck an ...« Die vier Leichen waren mit allerlei Knochen-Fetischen, Krallen, Reißzähnen von Tieren und polierten Muscheln geschmückt. Nicht ein einziger der eleganten Kunstgegenstände, für die die Tiste Andii bekannt waren und die Kulp früher gelegentlich zu Gesicht bekommen hatte, war zu sehen. Außerdem waren die Haare der vier Toten braun; sie hingen offen und ungekämmt herab, klebrig vor Fett. Tiste Andii hingegen hatten entweder nachtschwarzes oder silberweißes Haar.
    »Im Namen des Vermummten – was für Leute sind das?«, fragte Gesler.
    »Die Mörder der Seeleute aus Quon und der Tiste Andii, würde ich vermuten«, erwiderte Kulp. »Nach ihrer Tat sind sie in dieses Gewirr gesegelt – vielleicht mit Absicht, vielleicht auch zufällig – und sind jemandem über den Weg gelaufen, der noch schlimmer war als sie.«
    »Glaubt Ihr, dass der Rest der Mannschaft geflohen ist?«
    Kulp zuckte die Schultern. »Wenn man über die magischen Fähigkeiten verfügt, kopflosen Körpern zu befehlen, warum sollte man dann noch eine Mannschaft brauchen, die größer ist als die, die wir hier sehen?«
    »Für mich sehen sie doch irgendwie wie Tiste Andii aus«, sagte Gesler, während er den Mann im Kapitänsstuhl noch einmal aus nächster Nähe genau betrachtete.
    »Wir sollten Heboric holen«, sagte Kulp. »Vielleicht hat er irgendwo etwas gelesen, das Licht in diese Angelegenheit bringen könnte.«
    »Wartet hier«, sagte Gesler.
    Das Schiff knarrte, als die anderen begannen, auf dem Hauptdeck auf und ab zu gehen. Kulp lauschte auf die Schritte des Korporals, die sich den Laufgang hinunter entfernten. Der Magier stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch und musterte die Blätter, die überall auf seiner Oberfläche verteilt waren. Eines davon war eine Karte, die ein Land zeigte, das er nicht erkannte: eine zerklüftete Küstenlinie mit unzähligen Fjorden, die mit oberflächlichen Zeichnungen von Pinien verziert war. Das Landesinnere war hell getüncht, als wäre es Eis oder Schnee. In die Karte war ein Kurs eingezeichnet, der von der zerklüfteten Küste zunächst nach Osten und dann südwärts über einen gewaltigen Ozean führte. Das malazanische Imperium behauptete, über Weltkarten zu verfügen, doch diese zeigten nichts von dem Land, das Kulp hier sah. Der Anspruch des Imperiums auf die Vorherrschaft wirkte auf einmal nur noch erbärmlich.
    Hinter ihm betrat Heboric die Kabine. Kulp wandte den Blick nicht von der Karte auf dem Tisch. »Seht sie Euch genau an«, sagte der Magier.
    Der alte Mann ging an Kulp vorbei, hockte sich hin, um dem Kapitän stirnrunzelnd ins Gesicht zu schauen. Die hohen Wangenknochen und die Stellung der Augen erinnerten tatsächlich an die Tiste Andii, wie auch die Größe des Mannes. Zögernd streckte Heboric einen Arm aus ...
    »Wartet«, knurrte Kulp. »Achtet darauf, was Ihr anfasst. Und welchen Arm Ihr benutzt.«
    Heboric stieß ein wütendes Zischen aus und ließ den Arm sinken. Nach einem Augenblick richtete er sich wieder auf. »Ich kann es mir nur so erklären: Das hier sind Tiste Edur.«
    »Was?«
    »Gothos' Narretei. Dort werden drei Tiste-Völker erwähnt, die aus einer anderen Sphäre gekommen sein sollen. Wir kennen natürlich nur eines – die Tiste Andii –, und Gothos nennt nur noch ein weiteres Volk mit Namen: die Tiste Edur. Sie sind nicht schwarz, sondern grauhäutig, Kinder der unwillkommenen Vereinigung von Mutter Dunkel mit dem Licht.«
    »Eine

Weitere Kostenlose Bücher