Das Reich der Traeume
wahrscheinlich schlafen alle anderen schon. Das ist der richtige Moment für das, was ich am liebsten mache.
Ich schleiche mich aus meinem Zimmer, die Taschenlampe in der Hand. Vorsichtig schlieÃe ich die Tür und gehe leise die Wendeltreppe hinauf, Schritt für Schritt. Oben angekommen, schlieÃe ich die Tür zum Dachboden auf, dessen Decke sich wie eine Kuppel über das Haus wölbt.
Drinnen ist es stockfinster. Nur durch die Dachluke dringt etwas Licht. Ich richte den Strahl meiner Taschenlampe auf das alte Sofa, das mitten im Raum steht. Es ist mit einem Laken bedeckt â wie fast alles, das hier oben aufbewahrt wird.
Ich nehme das Tuch von dem groÃen Bild, das an der Wand hängt. Dann setze ich mich aufs Sofa und betrachte das Gemälde von meiner Mutter. Sie sieht wunderschön aus mit dieser Frisur und dem prächtigen Kleid. Angeblich hat sie es oft getragen, damals, als noch alles in Ordnung war.
Schon vor Jahren hat mein Vater beschlossen, dieses Bild hier auf dem Dachboden aufzuhängen. Er sagt, es tue ihm zu weh, meine Mutter täglich sehen zu müssen. Es wurde ein paar Tage vor ihrer gemeinsamen Reise nach Ãgypten fertiggestellt, deswegen hängen schlechte Erinnerungen daran.
Ich liebe dieses Bild. Mamas Blick ist so heiter, so offen und direkt, dass man das Gefühl hat, sie hätte nur Augen für den, der sie ansieht. Für mich. Sie wirkt richtig lebendig.
»Hallo, Mama. Ich war lange nicht mehr hier, aber heute musste ich einfach mit dir sprechen. Ich mache mir Sorgen um Papa. Er ist besessen von dieser Forschungsarbeit, die kein Ende nehmen will. Vorhin habe ich gehört, dass er schon vor meiner Geburt damit angefangen hat. Er hat es während des Gesprächs mit Stromber erwähnt, aber er will mir einfach nicht erzählen, worum es dabei geht.
Ich muss irgendwas tun, damit er sich von seiner Erkältung erholt und mal an was anderes denkt. Er arbeitet pausenlos, wie einer von diesen alten weisen Männern früher, die sich für nichts anderes interessiert haben als für ihre Arbeit. Das macht ihn noch kaputt! Was treibt er, Mama? Woran arbeitet er? Ich weiÃ, dass du mir nicht antworten kannst, aber irgendwen muss ich doch fragen. Sombra sagt mir ja nichts.«
Ich stehe auf und streiche mit der Hand über die Leinwand des Bildes. Ich glaube, ihren Atem an meinen Fingerkuppen zu spüren. Als würde sie leben.
»Ich brauche dich, Mama! Du weiÃt nicht, wie sehr wir dich brauchen, Papa und ich!«
Mir laufen Tränen über die Wangen, obwohl ich nicht will, dass sie mich weinen sieht. Sie soll doch denken, dass ich glücklich bin.
»WeiÃt du, heute ist Señor Stromber angekommen, ein etwas exzentrischer Antiquitätenhändler. Vielleicht tut seine Anwesenheit Papa ja gut. Obwohl ich ihn irgendwie seltsam finde. Er will hier forschen, sagt er. Vielleicht werden die beiden ja gute Freunde.«
Ich werfe ihr eine Kusshand zu.
»Also, ich geh dann mal wieder nach unten. Danke, dass du mir zugehört hast. Bald besuche ich dich wieder. Adiós, Mama. Und mach dir keine Sorgen um uns. Wir werden es schon schaffen.«
Vorsichtig bedecke ich das Bild wieder mit dem Tuch und schleiche mich vom Dachboden. Als ich die Wendeltreppe hinuntergehe, höre ich ein Geräusch. Ich bleibe stehen und warte. Es ist Sombra. Er hat mich gesehen, sagt aber nichts. Er wirft mir nur einen komplizenhaften Blick zu und verschwindet in der Dunkelheit.
»In diesem Haus gibt es immer mehr Ratten«, höre ich ihn noch brummen.
Ich schleiche zurück in mein Zimmer und lege mich ins Bett. Während ich einschlafe, denke ich an meine Mutter.
VII
Ein Schwur wird gebrochen
N ervös ging Arquimaes in der kleinen, dunklen Zelle auf und ab, die für seinen geliebten Arturo zum Grab zu werden drohte. Ihm war klar, dass ihm niemand zu Hilfe eilen würde. Morfidio jedenfalls kannte kein Erbarmen, es sei denn, er enthüllte ihm das groÃe Geheimnis. Doch das würde Arquimaes niemals tun.
Betrübt betrachtete er den sterbenden Körper seines Schülers. Der Alchemist hatte alles getan, was in seiner Macht stand, um Arturos Leben zu retten, doch seine Bemühungen waren vergebens gewesen.
Wenn ihm doch nur die nötigen Mittel zur Verfügung gestanden hätten! Arquimaes war in der Lage, einen schwer Verwundeten dem Tode zu entreiÃen. Aber dafür benötigte er Salben, Kräuter und Mixturen.
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