Das Reich des dunklen Herrschers - 8
es nur eine einzige.«
»Was Ihr da sagt, klingt einfach unlogisch«, beschwerte sich Cara. »Eben sagtet Ihr noch, eine Grenze sei von Norden nach Süden verlaufen und habe den Gebirgspass versperrt, außerdem gebe es jene beiden parallel verlaufenden Grenzen hier draußen in west-östlicher Richtung, die jeden, der das Reich verlassen hatte, durch die erste Grenze hindurch zu den Säulen der Schöpfung schleusen sollten, wo er schließlich umgekommen wäre.«
Kahlan konnte ihr nur beipflichten. Die Möglichkeit, daß jemand eine der beiden anderen überwinden und auf diese Weise entkommen konnte, schien tatsächlich gegeben.
»Ich glaube trotzdem nicht, daß es drei Grenzen gab«, wiederholte Richard. »Meiner Meinung nach gab es nur eine, aber die verlief nicht etwa entlang einer geraden Linie, sondern war in der Mitte gekrümmt.« Er hielt zwei Finger nebeneinander in die Höhe. »Das untere Ende der Krümmung führte über den Gebirgspass.« Er deutete auf das Häutchen zwischen seinen beiden Fingern. »Die beiden Schenkel erstreckten sich parallel in diese Richtung und endeten schließlich im Tal der Säulen.«
Jennsen konnte nur verwundert fragen: »Und wieso?«
»Die Durchdachtheit dieser Konstruktion scheint mir darauf hinzudeuten, daß diejenigen, die diese Leute weggesperrt hatten, ihnen eine Möglichkeit geben wollten, sich unliebsamer Elemente zu entledigen -möglicherweise in Kenntnis dessen, was sie über ihre Überzeugungen erfahren hatten, daß sie nämlich davor zurückscheuen würden, jemanden hinzurichten. Als diese Leute hierher, in die Alte Welt, verbannt wurden, huldigten sie im Kern möglicherweise schon den gleichen Überzeugungen wie heute - Überzeugungen, aufgrund derer sie allen schlechten Menschen schutzlos ausgeliefert waren. Wollten sie ihre Lebensweise bewahren, ohne die kriminellen Elemente hinzurichten, mußten sie diese Personen aus ihrer Gemeinschaft entfernen, wenn diese nicht von innen heraus zerstört werden sollte.
Die Verbannung aus D’Hara und der Neuen Welt muß für sie damals ein schwerer Schlag gewesen sein, weshalb sie, um überleben zu können, fest zusammenhielten und ein starkes Verbundenheitsgefühl entwickelten.
Offenbar haben die Menschen hier, in der Alten Welt, die sie damals hinter die Grenze sperrten, diese Angst vor Verfolgung dazu benutzt, ihnen einzureden, die Grenze diene vor allem ihrem Schutz - indem sie Außenstehende daran hinderte, ihnen Schaden zuzufügen. Das, in Verbindung mit ihrem ausgeprägten Bedürfnis nach Zusammenhalt, dürfte ihnen eine übergroße Angst, aus ihrer sicheren Umgebung vertrieben zu werden, eingeimpft haben. Mit Verbannung verbanden diese Menschen einen ganz besonderen Schrecken.
Von den übrigen Völkern der Welt wegen ihrer völligen Unbeflecktheit von der Gabe abgelehnt zu werden muß schmerzlich für sie gewesen sein, als Gemeinschaft aber fühlten sie sich hinter der Grenze sicher. Jetzt, da dieser Schutz aufgehoben ist, stehen wir vor gewaltigen Schwierigkeiten.«
Jennsen verschränkte die Arme. »Mit anderen Worten: Jetzt, da feststeht, daß wir mehr als nur einer - mehr als nur eine Schneeflocke -sind, befürchtest du, es könnte zu einem Schneesturm kommen?«
Richard warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. »Warum glaubst du, ist die Imperiale Ordnung in das Land eingefallen und hat einige der Bewohner verschleppt?«
Jennsen war um eine prompte Antwort nicht verlegen. »Offenbar ja wohl, um weitere Kinder wie sie heranzuzüchten und so dem Menschengeschlecht auf dem Weg der Zucht alle Magie auszutreiben.«
Richard überhörte die Erregung, die in ihrer Stimme mitgeklungen hatte. »Nein, ich meinte, warum könnten sie wohl auch Männer verschleppt haben?«
»Na, aus demselben Grund«, erwiderte Jennsen. »Damit sie sich mit normalen Frauen verbinden und nicht mit der Gabe gesegnete Kinder zeugen.«
Richard holte geduldig Luft und atmete langsam wieder aus. »Was hat Owen denn erzählt? Daß die Männer den Frauen zugeführt worden seien und man ihnen erklärt habe, diese Frauen würden, falls sie die Befehle nicht befolgten, bei lebendigem Leib gehäutet.«
Jennsen wurde unsicher. »Welche Befehle?«
Richard beugte sich zu ihr. »Genau, welche Befehle? Denkt mal darüber nach«, sagte er mit einem Rundblick in die kleine Gruppe. »Was könnten sie ihnen befohlen haben? Wieso hatten sie Bedarf an nicht mit der Gabe gesegneten Männern, und was könnten sie von diesen Männern gewollt
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