Das Reich des dunklen Herrschers - 8
erfaßte ihr derzeitiges Quartier mit einer beiläufigen Handbewegung. »Aber hier drinnen bist du sicher, meine Liebe. Niemand kann dir ein Leid antun, solange du in unserer Obhut weilst, niemand vermag dich zu behelligen. Du bekommst hervorragende Verpflegung -gelegentlich sogar ein Gläschen Wein. Was könntest du mehr verlangen?«
Die geballten Fäuste neben ihrem Körper, ging sie mit einem Ungestüm auf ihn los, das die Mord-Sith, obschon sie sich nicht von der Stelle rührte, sofort zu ihrem Strafer greifen ließ. Nathan wich keinen Zoll zurück und bewahrte sich sein Lächeln, ohne seine Augen von ihr abzuwenden.
»Was ich mehr verlangen könnte?«, zeterte Ann. »Was ich mehr verlangen könnte? Ich will hier raus. Das ist es, was ich verlange!«
Nathans schmallippiges, vielsagendes Lächeln traf sie bis ins Mark. »Tatsächlich?«, erwiderte er; es war ein stummer Vorwurf zusammengefaßt in einem einzigen Wort.
Ann stand in der steingewordenen Stille des Verlieses und starrte zu ihm hoch, unfähig, auch nur ein einziges Argument vorzubringen, das nicht sofort auf sie zurückgefallen wäre.
Sie warf einen wütenden Seitenblick auf die Mord-Sith. »Was habt Ihr ihm ausgerichtet?«
»Nyda richtete mir aus, daß du mich zu sehen wünschst«, antwortete Nathan an ihrer Stelle. Er breitete die Arme aus. »Und da bin ich, wie verlangt. In welcher Angelegenheit möchtest du mich sprechen, meine Liebe?«
»Behandle mich nicht von oben herab, Nathan. Du weißt sehr wohl, weswegen ich dich sprechen möchte. Du weißt, weshalb ich hier in D’Hara bin - und warum ich in den Palast des Volkes gekommen bin.«
Nathan verschränkte die Hände hinter seinem Rücken. Der Zweck seines Lächelns hatte sich erschöpft.
»Nyda«, wandte er sich an seine Begleiterin, »würdet Ihr uns einen Augenblick allein lassen, seid so gut.«
Die Mord-Sith maß Ann mit einem flüchtigen Blick; mehr war nicht nötig. Sie war für Nathan keine Gefahr. Er war ein Zauberer - zweifellos hatte er ihr gegenüber durchblicken lassen, er sei der größte Zauberer aller Zeiten - und befand sich im Stammsitz der Familie Rahl. Er brauchte diese alte Hexenmeisterin nicht zu fürchten - jedenfalls nicht mehr.
Nyda warf Nathan einen Wenn-Ihrmichbrauchtichwartedraußen-Blick zu, ehe sie ihren makellosen Körper mit geschmeidiger Grazie durch die Türöffnung schlängelte - mühelos wie eine Katze, die durch eine Hecke schlüpft.
Nathan, die Hände noch immer hinter seinem durchgedrückten Rücken verschränkt, stand in der Zellenmitte und wartete darauf, daß Ann zu sprechen begann.
Statt dessen trat Ann zu ihrem Bündel und ließ sich auf der Steinbank nieder, die ihr gleichzeitig als Bett, Tisch und Stuhl diente. Sie schlug die Klappe zurück, langte hinein und suchte, bis ihre Finger gegen das kalte Metall des gesuchten Gegenstandes stießen. Ann zog ihn heraus und beugte sich darüber, so daß ihr Schatten ihn verdeckte.
Schließlich drehte sie sich herum. »Ich habe dir etwas mitgebracht, Nathan .«
Sie hielt ihm einen Rada’Han hin, den sie ihm hatte umlegen wollen. Wie sie dieses Kunststück hatte schaffen wollen, war ihr in diesem Moment nicht mehr klar, doch daß es ihr mit der nötigen Entschlossenheit gelungen wäre, stand für sie außer Frage. Sie war Annalina Aldurren, die Prälatin der Schwestern des Lichts - oder es zumindest einst gewesen. Kurz vor ihrem und Nathans vorgetäuschten Tod hatte sie dieses Amt Verna übertragen.
»Du möchtest, daß ich mir eigenhändig diesen Halsring umlege?«, fragte Nathan mit ruhiger Stimme. »Erwartest du das wirklich?«
Ann schüttelte den Kopf. »Nein, Nathan, ich möchte ihn dir zum Geschenk machen. Ich habe lange nachgedacht, während ich hier unten saß - unter anderem darüber, daß ich mein Gefängnis wahrscheinlich nie wieder verlassen werde.«
»Welch ein Zufall«, sagte Nathan. »Auf denselben Gedanken habe damals auch ich viel Zeit verwendet.«
»Ja«, meinte Ann und nickte. »Vermutlich.« Sie reichte ihm den Rada’Han. »Hier, nimm ihn. Ich will nie wieder eins von diesen Dingern sehen. Auch wenn ich damals überzeugt war, das einzig Richtige zu tun, war mir jede einzelne Minute davon zutiefst verhaßt, Nathan, vor allem, weil ich es dir antun mußte. Mittlerweile bin ich zu der Überzeugung gelangt, daß mein Leben ein einziger Irrtum war. Es tut mir leid, daß ich dich jemals wie einen Gefangenen hinter diesen Schilden weggesperrt habe. Könnte ich mein Leben noch einmal
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