Das Reich des Lichts
bestatten. Dem Mädchen fiel es schwer, sich von ihrem toten Vater zu trennen; doch schließlich erklärte sie sich einverstanden. Sie hoben eine Grube am Fuße eines riesigen Baumes aus, legten die Überreste des Mannes, den Amedia mehr als alles auf der Welt geliebt hatte, hinein und erwiesen ihm die letzte Ehre.
„Einen Mann wie ihn wird es nie mehr geben“, sagte das Mädchen. „Er war ein ganz besonderer Mensch.“
***
W ÄHREND A RTURO UND seine Freunde gen Ambrosia ritten, bestattete Horacles den König und ließ sich zum Herrscher des neuen Reiches ausrufen, das zu Ehren seines Vaters „Rugian“ genannt wurde.
Allerdings nahmen nur wenige Menschen an den Feierlichkeiten teil. Nur eine Handvoll Soldaten und Ritter standen um den Scheiterhaufen herum, auf dem die sterblichen Überreste des Königs zu Asche verbrannt wurden. Und noch weniger kamen zu dem Fest, auf dem sich Horacles die Krone seines Adoptivvaters aufsetzen ließ. Eswar offensichtlich, dass der neue König seinen Untergebenen nicht genehm war. Sie fürchteten ihn zu sehr.
Nach der Zeremonie versammelte er sämtliche Hexenmeister, Hexen, Zauberer und Geisterbeschwörer um sich, die sich im Königreich angesiedelt hatten. Er lud sie zu einem großen Fest ein, das mit allem Pomp im Schloss begangen wurde. Während des Festessens hielt er eine kurze Ansprache.
„Freunde! Ich bin der König von Rugian. Niemand hat mehr Macht als ich. Und euch verleihe ich mehr Macht als den Rittern. Von heute an gehört dieses Land euch! Hier könnt ihr nach Herzenslust eure Hexerei praktizieren. Ihr habt die Gelegenheit, unsere Welt zu verändern und zu beweisen, dass die schwarze Magie mächtiger ist als die Alchemie. Tod den Alchemisten! Ein langes Leben den Hexenmeistern!“
Geschrei aus Hunderten von Kehlen ließ den neuen König hochleben. Alle, die sich auf irgendeine Weise mit den schwarzen Künsten verbunden fühlten, sahen in Horacles den neuen Schutzpatron der Hexerei. Jetzt, da das Reich des Finsteren Zauberers Demónicus den magischen Kräften von Arquimaes und Arturo unterlegen war, stellte er ihre einzige Hoffnung dar.
Mit Horacles erstand eine neue Kraft, die der verhassten Schwarzen Armee, von der alle Welt sprach und die der Macht des Demónicus ein Ende bereitet hatte, gewachsen schien.
„Horacles! Horacles! Horacles!“, schrien die Hexenmeister, bis sie heiser waren.
Der neue König hörte ihre Hochrufe mit Befriedigung. All seine Mühe hatte sich gelohnt. Die Jahre im Dienste des Arquitamius würden endlich Früchte tragen. Der Weise hatte ihn in die Geheimnisse der alchemistischen Magie eingeweiht, und das verlieh ihm nun schier unermessliche Macht. Durch das Blut seines Meisters, das er getrunken hatte, war er zu einem übermenschlichen Wesen geworden.
***
D IE N ACHT WAR kalt, ähnlich der, in der Graf Morfidio, begleitet von einem Trupp Soldaten, vor langer Zeit auf Drácamont zugeritten war.Der alte Turm war nach dem Brand, der von seinen Männern damals gelegt worden war, so gut wie zerstört. Den Rest hatte der Lauf der Zeit erledigt.
Der Graf betrachtete die einzige Mauer, die noch stand. In diesem Augenblick wurde er sich bewusst, dass er überall eine Spur der Verwüstung hinter sich ließ. Offenbar war das sein Schicksal: zerstören, töten, niederreißen.
Er sah zu Frankuls Sohn hinüber. Der Kleine zitterte vor Angst, denn er wusste, dass dem Adel das Leben einfacher Leute nicht viel galt. Das bewies auch der Strick, mit dem sie ihn an einen Baum gefesselt hatten. Schon vor einer Weile hatte das Blut aufgehört, in seinen Händen zu zirkulieren.
„Wenn dein Vater nicht kommt, wirst du den morgigen Tag nicht mehr erleben!“, drohte ihm Morfidio. „Tut mir leid für dich, mein Junge.“
„Ich glaube, da kommt er“, flüsterte Escorpio. „Ich kann ihn schon hören.“
Lautlos zog der Graf sein Schwert aus der Scheide.
„Vorsicht!“, zischte er. „Es könnte eine Falle sein.“
„Das würde Frankul mir nie antun“, versicherte Escorpio.
„Ach nein? Könntest du das beschwören? Oder bist du so naiv, einem Mann zu vertrauen, der sein eigenes Kind dazu missbraucht, Leichen zu begraben? Dein Frankul ist eine Ratte!“
Sie lauschten.
Kurz darauf vernahmen sie das knirschende Geräusch eines Karrens.
„Ich bin’s! Frankul!“
„Komm her und nimm die Arme hoch!“, befahl Morfidio. „Und versuch bloß nicht, uns hereinzulegen!“
„Ich will nur meinen Sohn wieder zurück! Ich bringe Euch alles,
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