Das Reigate-Rätsel
weiß nicht, wie Sie das herausgefunden haben.« Holmes lachte leise.
»Ich bin im Vorteil, mein lieber Watson, ich kenne Ihre Gewohnheiten. Wenn die Runde Ihrer Arztbesuche kurz ist, dann gehen Sie zu Fuß, und wenn sie lang ist, nehmen sie sich einen Mietwagen. Ich bemerke, daß Ihre Stiefel wohl getragen, aber nicht schmutzig sind. So denke ich mir, daß Sie wohl Arbeit genug haben, sich einen Wagen zu nehmen.«
»Ausgezeichnet!« rief ich.
»Elementarwissen«, sagte er. »Es ist eines dieser kleinen Beispiele, mit denen der Logiker Effekte erzielen kann, um seinen Nachbarn zu imponieren, weil der andere einen kleinen Punkt übersehen hat, der die Basis der logischen Schlußfolgerung ist. Das gleiche, mein lieber Freund, gilt für Ihre kleinen Aufzeichnungen, mit denen Sie mich in ein so glänzendes Licht stellen. Alles liegt daran, wieviel Fakten Sie den Leser von Anfang an wissen lassen. Im Augenblick befinde ich mich in der Position des Lesers, denn in meiner Hand halte ich die verschiedensten Fäden des merkwürdigsten Falles, über den sich je ein Mann den Kopf zerbrochen hat. Und dennoch benötige ich noch ein paar wichtige Fäden, die mir helfen, meine Theorie abzuschließen. Aber, ha - Watson, ich hab's! Ich hab's! « Ein Leuchten glomm in seinem Gesicht auf, und eine freudige Röte malte sich auf seinen Wangen. Für einen kleinen Augenblick war der Schleier von seinem scharfgeschnittenen, kühnen Gesicht gelüftet- aber nur für einen kleinen Augenblick. Als ich ihm gleich darauf wieder ins Gesicht sah, hatte er jenen Indianerausdruck schon wieder angenommen, in dem er manchmal eher wie eine Maschine als ein Mensch wirkte. »Das Problem hat wirklich interessante Züge«, sagte er. »Ich kann sogar sagen, daß es außergewöhnlich interessante Züge hat. Ich habe diese Angelegenheit nun von allen Seiten betrachtet. Mir scheint, jetzt bin ich in greifbare Nähe der Lösung gelangt. Wenn Sie meine letzten Schritte begleiten würden, dann wäre ich Ihnen wirklich zu außerordentlichem Dank verpflichtet.«
»Aber das tue ich doch mit Freuden.«
»Können Sie mich morgen nach Aldershot begleiten?«
»Ich bin ganz sicher, daß Jackson meine Praxis mit übernehmen kann.«
»Sehr gut. Ich möchte früh um 11.10 Uhr von Waterloo Station abfahren.«
»Da habe ich Zeit genug, alles zu regeln.«
»Wenn Sie jetzt nicht zu müde sind, werde ich Ihnen in kurzen Zügen erzählen, was geschehen ist und was ich zu unternehmen gedenke. «
Ach war müde, bevor Sie kamen, aber nun bin ich wieder ganz munter.«
»Ich werde mich so kurz wie möglich fassen und doch versuchen, nichts Wichtiges auszulassen.
Vielleicht haben Sie ja auch schon in den Zeitungen von der Sache gelesen. Ich bearbeite den Fall von Colonel Barklay vom Royal Münster in Aldershot. Man nimmt an, daß er ermordet worden ist. «
»Ich habe nichts davon gehört.«
»Die Sache ist auch noch nicht in den großen Zeitungen erschienen, höchstens die örtliche Presse hat davon berichtet. Was vor zwei Tagen geschehen ist, will ich Ihnen in aller Kürze wiedergeben:
Das Royal Münster ist, wie Sie ja wissen, eines der berühmten Irischen Regimenter. Im Krimkrieg und bei der Meuterei haben sie wahre Wunder gewirkt. Seither hat es sich bei jeder Gelegenheit rühmlich hervorgetan. Bis zum letzten Montagabend wurde es kommandiert von James Barklay, einem Veteranen, der seine Karriere in der Armee als Private begonnen hat.
Während der Meuterei wurde er seiner Tapferkeit wegen befördert. So befehligte er das gleiche Regiment, in dem er einstmals die Muskete getragen hatte.
Colonel Barklay heiratete, als er noch Sergeant war. Seine Frau war eine Miss Nancy Devoy, die Tochter eines Sergeanten aus dem gleichen Regiment. Wie man sich vorstellen kann, gab es ein paar gesellschaftliche Schwierigkeiten. Das junge Paar. mußte sich auch in der neuen Umgebung erst zurechtfinden, denn sie waren noch ziemlich jung. Es sieht allerdings so aus, als hätten sie sich sehr schnell angepaßt. Wenn ich es richtig verstehe, dann hat sich Mrs. Barklay mit den Damen des Regiments immer so gut verstanden wie ihr Mann mit den anderen Offizieren. Ich muß noch hinzufügen, daß sie eine sehr schöne Frau war. Sogar jetzt noch, nachdem sie die Dreißig überschritten hat, ist sie eine königliche Erscheinung.
Colonel Barklay scheint ein recht glückliches Familienleben geführt zu haben. Major. Murphy, der mir die meisten Hintergrundtatsachen berichtet hat, versicherte mir,
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