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Das Reliquiar

Das Reliquiar

Titel: Das Reliquiar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Seymour
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»Gehört das Kreuz euch?«
    »Nein. Wir wissen nicht, wer es damals besaß und was daraus geworden ist. Meiner Familie gehört nur das Bild, und vermutlich können wir uns deshalb nicht über unser Schicksal beklagen. Zumindest ich beklage mich nicht...« Gaia lachte. »Komm jetzt. Mein Verlobter hat mir befohlen, dich zu ihm zu bringen, und es gibt viele Leute, die dich kennenlernen wollen...«
    Eine ganze Weile später löste sich Elena von der Gruppe, zu der Gaia sie geführt hatte, um anschließend sofort wieder zu verschwinden. Sie kehrte in den Saal des Einhorns zurück, sah sich dort noch einmal das Bild des Kreuzes an und wandte sich dann dem Ausgang zu.

Venedig, 30. Oktober 1204
    Dunst lag wie ein Schleier über der Lagune, und es fiel ein beständiger, eiskalter Nieselregen. Arrigo zog den dicken Mantel enger um seine Schultern, durchmaß mit langen Schritten die Gasse, überquerte einen Platz und erreichte eine Brücke. Rasch stieg er die glatten Stufen hoch. Das Wasser des Kanals war tintenschwarz, die Oberfläche vom Wind gekräuselt. Auf der anderen Seite der Brücke, an einem etwas größeren Platz, ragte ein Gebäude empor, an dessen Dreiecksgiebel ein rotes Kreuz mit vier gleich langen Armen dargestellt war. Es standen keine Wachen am Eingang, aber Arrigo war gerade über die Schwelle getreten, als ihm ein älterer Mann entgegentrat und freundlich nach seinem Begehr fragte.
    »Ich möchte den Schatzmeister sprechen«, sagte Arrigo und holte ein zerknittertes Beglaubigungsschreiben hervor.
    Der Templer nahm es entgegen, warf einen Blick darauf und nickte. »Kommt mit mir, Signor Brandanti«, sagte er.
    Arrigo folgte ihm durch ein Labyrinth aus Fluren und Zimmern, in denen zahlreiche Mönche vor großen Büchern saßen. In der Stille war nur das Kratzen ihrer Federkiele auf dem Pergament zu hören. Es roch nach Tinte und Papier. Niemand sah neugierig auf, als der Alte und der Ritter vorbeikamen, doch Arrigo machte keinen Hehl aus seinem Interesse an den Tätigkeiten der Schreiber – er ging etwas langsamer, um einen Blick in die Bücher werfen zu können.
    Der alte Templer ließ ihn kurz allein, um ihn dem
Schatzmeister anzukündigen, der ihn anschließend in seinem kleinen Arbeitszimmer empfing. Arrigo reichte ihm das Beglaubigungsschreiben, das der Mönch sehr aufmerksam las. Als er das Siegel des Ordens unter dem Schreiben sah, hob der Schatzmeister für ein oder zwei Sekunden den Blick und las dann weiter. »Ihr seid mir angekündigt worden, Signor Brandanti«, sagte er schließlich und faltete die Hände. Arrigo bemerkte die Tinte an seinen Fingern. »Es ist mir aufgetragen, Euch mitzuteilen, dass unser Commendatario Euch empfangen möchte. Ich glaube, er wartet bereits.«
    Arrigo nickte. »Es ist mir eine Freude und eine Ehre, ihm zu begegnen.«
    Der alte Mönch, der ihn zum Schatzmeister begleitet hatte, führte ihn zum Commendatario der Templer, stellte ihn vor und ging dann wieder. Das Zimmer des Commendatario war größer und komfortabler- es hatte sogar einen Kamin. Gleichwohl war es einfach eingerichtet. Der Templer empfing Arrigo mit einem freundlichen Lächeln und bot ihm einen Stuhl an und nahm ihm gegenüber Platz. Das Gesicht und die Hände, schwielig wie die eines Kriegers, zeigten noch ein wenig Bräune, was darauf hindeutete, dass er erst vor kurzer Zeit nach Venedig zurückgekehrt war. »Ich hatte schon befürchtet, nichts von Euch zu hören«, sagte er.
    »Um ehrlich zu sein, ich habe bis zum Schluss gehofft, die Mission allein zum Abschluss bringen zu können.Aber mir bleibt keine Wahl.«
    »Ist Eure Suche erfolglos gewesen?«
    »Ich weiß, wo sich das Kreuz befindet, doch ich kann es nicht an mich bringen. Die Person, der es gehört,
lehnt einen Verkauf ab, und all mein Drängen blieb ohne Erfolg.«
    Der Templer lächelte. »Warum seid Ihr nicht früher zu mir gekommen? Euer Orden und meiner waren durch gemeinsame Ideale und Interessen miteinander verbunden, und wir hätten Euch bestimmt helfen können. Dazu sind wir auch jetzt noch imstande, wenn Ihr es wünscht.«
    »Deshalb bin ich hier. Ich nehme Euer Angebot an und danke Euch dafür von Herzen.«
    »Ich stelle allerdings eine Bedingung?«
    Arrigo runzelte die Stirn. »Und die wäre?«
    »Ihr müsst Mitglied des Templerordens werden.«

Schloss Sandriano, 30. Oktober 2006
    Es war nicht nur die Krankheit, die den Grafen Lodovico Brandanti quälte. Neben dem erbitterten Kampf gegen den in ihm wuchernden Krebs gab es noch

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