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Das Reliquiar

Das Reliquiar

Titel: Das Reliquiar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Seymour
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Schritten davon, und Alvise sah ihm verblüfft nach.
     
    Das Lügen gehörte nicht zu Arrigos Angewohnheiten, und die Anwendung von Gewalt noch viel weniger. Als er am Campo Santo Stefano entlangging, verfluchte er den Reeder und seinen Starrsinn. Er bedauerte fast, dass er nicht den Mut gehabt hatte, die Vitrine zu zertrümmern, sich das Kreuz einfach zu nehmen und damit zu fliehen. Aber das wäre alles andere als christlich gewesen. Erneut sagte er sich, dass er nicht aufgeben durfte. Es gab noch eine letzte Möglichkeit. Und wenn das der einzige Weg war, die Reliquie wiederzubekommen, so würde er ihn beschreiten.

Rom, 24. Oktober 2006
    Die Einladung war überraschend gekommen, aber Elena hatte sofort entschieden, sie anzunehmen. Zusammen mit der Karte, die das Wappen der Familie Altieri aufwies, erhielt sie ein Heft, das die Ausstellung beschrieb, bei der es um einen Renaissancemaler ging. Er war nicht sehr bekannt und hatte auch nicht viel geschaffen, doch Elena erinnerte sich daran, von ihm gehört zu haben: Jacopo Castelli, auf Porträts und religiöse Objekte spezialisiert und in jungen Jahren gestorben. Zu den Exponaten zählten einige, die man erst vor kurzer Zeit in den Kellern des Palazzo entdeckt hatte und die seit Jahrhunderten nicht mehr ausgestellt worden waren.
    Elena hatte den Palazzo Altieri gerade betreten, als jemand ihren Namen rief. Eine junge, lächelnde Frau – groß und schlank, in ein pastellfarbenes Kostüm gekleidet und mit dichtem kastanienfarbenem Haar – eilte ihr entgegen und umarmte sie. »Elena!«, rief Gaia Altieri aus. »Wie schön, dich wiederzusehen! Wie geht es dir?«
    »Gut«, antwortete Elena. »Danke für die Einladung. Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen? Es muss Jahre her sein.«
    »Ja.Wie hätte ich diese Gelegenheit zu einem Wiedersehen nicht nutzen können? Lass dich anschauen... Du siehst gut aus.«
    »Du auch. Ich habe von deiner Verlobung gehört. Herzlichen Glückwunsch.«
    »Danke. Ich bin sehr glücklich.« Gaia hängte sich bei Elena ein. »Jetzt da wir uns endlich wiedergesehen haben... Verschwinde nicht sofort wieder auf irgend
so einer staubigen archäologischen Grabung, in Ordnung? Geh nur, ich komme gleich nach... Entschuldige, aber... Gaetano! Wie geht’s dir, mein Lieber?«
    Gaia hatte sich überhaupt nicht verändert, dachte Elena lächelnd und beobachtete, wie sie einen anderen Gast umarmte. Es machte ihr nichts aus, allein zu bleiben. Ganz im Gegenteil: Auf diese Weise konnte sie sich die Ausstellung in aller Ruhe ansehen. Sie folgte den anderen Gästen und betrat den prächtigen Sala dell’Uni corno, den Saal des Einhorns, in dem die Bilder präsentiert wurden.
    Elena betrachtete mehrere Gemälde, unter ihnen eine eindrucksvolle Darstellung der Kreuzabnahme Christi , eine Madonna mit Kind und das zauberhafte Porträt einer jungen Frau , das eine Frau aus dem Volk von einzigartiger Schönheit zeigte. Schließlich blieb sie vor dem Bild eines mit Edelsteinen besetzten Kreuzes stehen. Die Begleitschrift bezeichnete das Werk als »ungewöhnlich« im Schaffen Castellis. Tatsächlich unterschied sich das Bild erheblich von den anderen: Es gab keine Menschen, die das Kreuz dem Betrachter darboten, und es fehlte auch ein Renaissancehintergrund, in dem die Zeichen von Mensch und Natur ineinander übergingen. Dargestellt war nur das Objekt, so detailgetreu, dass es ganz real wirkte.
    Ein seltsames Gefühl von Déjà-vu ergriff Elena. Sie glaubte, das Kreuz zu kennen – es wieder zuerkennen -, obwohl sie es gerade zum ersten Mal sah. Hingerissen betrachtete sie das Bild, als hielte es eine Antwort auf die Frage bereit, die plötzlich in ihr rumorte: Warum übt das Kreuz einen so großen Reiz auf mich aus?

    »Hier bist du, Elena!«, erklang hinter ihr Gaias schrille Stimme. »Ah, du siehst dir das Bild mit dem Kreuz an. Prächtig, nicht wahr? Und wir wussten nicht einmal, dass es sich in unserem Besitz befindet. Wir haben es während der Renovierungsarbeiten gefunden. Jahrhundertelang lag es in einem staubigen Keller, von allen vergessen.«
    »Das Bild gibt mir ein sonderbares Gefühl«, sagte Elena.
    »Vielleicht liegt es an dem düsteren Ruf, der dem Kreuz vorauseilt. Es heißt, Castelli sei unter rätselhaften Umständen gestorben, kurz nachdem er dieses Bild fertiggestellt hatte. Angeblich bringt es jedem Unglück, der das Pech hat, es zu besitzen.«
    »Manchmal genügt irgendein Zufall, um Gerüchte entstehen zu lassen.« Elena lächelte.

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