Das Reliquiar
schloss er seinen Bericht.
»Ich weiß«, erwiderte der Mann hinter dem Schreibtisch. »Und ich billige, was du getan hast. Aber ich hoffe, dass du so klug gewesen bist, alle Spuren zu beseitigen.«
»Ja.«
»Gut. Dann müssen wir wenigstens nicht befürchten, dass die Polizei Indizien findet, die zu uns führen könnten.«
»Es tut mir leid, dass ich versagt habe, Meister«, sagte Stefano.
»Ich bin enttäuscht, vor allem deshalb, weil du unbedacht gehandelt hast. Aber alles hat auch sein Gutes. Ich glaube, wir stehen kurz vor dem Abschluss dieser Angelegenheit.«
Wewelsburg (Nordrhein-Westfalen), 9. November 2006
Der Baron hatte das Laboratorium im Kellergeschoss des Schlosses gerade verlassen, als einer seiner Assistenten darauf hinwies, dass sein Sohn Bruno eingetroffen war.
»Wurde auch Zeit«, brummte er. »Wo ist er?«, fragte der Baron dann und ging zum Aufzug.
Der Assistent – er war auch der Leibwächter des Barons – folgte ihm. »Im Wappensaal«, antwortete er und betrat ebenfalls die Fahrstuhlkabine. Er war so groß, dass er sich ducken musste, um nicht an den Sturz zu sto ßen.
Auch der Baron war von eindrucksvoller Statur, doch er musste den Kopf heben, wenn er dem blonden Hünen ins Gesicht sehen wollte. In Karls blauen Augen funkelte zwar nicht sonderlich viel Intelligenz, aber dafür konnte man sich auf seine Loyalität verlassen.
Der Aufzug hielt auf Höhe der Eingangshalle, und die beiden Männer verließen die Kabine. Als sich die Tür wieder geschlossen hatte, verschwand sie im Tapetenmuster. Zusammen mit seinem Assistenten und Leibwächter ging Otto von Odelberg zur Treppe.
»Warte hier«, wies er Karl vor der Tür des Wappensaals an. Der Hüne nickte, schloss die Tür hinter dem Baron und hielt Wache.
Der Wappensaal bot einen absurden und gleichzeitig faszinierenden Anblick. Er bildete den berühmten Saal im Schloss Camelot nach, in dem sich die Ritter des Königs Artus versammelt hatten. Dort stand der runde Tisch mit zwölf Stühlen, jeder von ihnen mit einem kleinen silbernen Schild versehen, das den Namen des entsprechenden
Ritters trug. An den Wänden hingen die Schilde mit den Wappen der verschiedenen Familien. Natürlich gab es auch den Platz des Königs, davor eine Kopie des legendären Schwerts Excalibur.
Durch die Fenster sah man einen Teil des Waldes; Nebelschleier zogen über die Wipfel der Kiefern. Das Tageslicht verdrängte die Dunkelheit nicht ganz aus dem Saal, aber Bruno von Odelbergs Gestalt zeichnete sich deutlich vor dem perlfarbenen Hintergrund des Himmels ab. Mit einer fließenden Bewegung drehte sich der junge Mann um und lächelte. Er trug noch seine Reisekleidung; den Mantel hatte er achtlos über die Armlehnen eines Stuhls geworfen.
Der Baron runzelte die Stirn. »Wie oft habe ich dir gesagt, dass die Sitze keine Kleiderständer sind?«, brummte er.
»Deine Begrüßung ist so herzlich wie immer,Vater«, erwiderte Bruno.
Der Baron zuckte mit den Schultern. »Wie ist es gelaufen?«
»Ich bin vor die Tür gesetzt worden. Der Versuch, mich für den Narren namens Leone auszugeben und die vermeintliche Trumpfkarte des Cousins zu spielen, erwies sich als Katastrophe. Fast wäre ich in die Ermittlungen bei einem Mordfall verwickelt worden. Deshalb habe ich dich nicht angerufen und so lange gebraucht, hierher zurückzukehren. Ich musste alle Spuren hinter mir verwischen.«
»Wer ist ermordet worden?«
»Der Sekretär des Grafen. Ich habe seine Leiche bei einem Spaziergang im Wald gefunden und hatte es so eilig,
von ihr wegzukommen, dass ich ausgerutscht und gefallen bin. Fast hätte ich mir dabei den Hals gebrochen, verdammt.«
»Hast du wenigstens etwas über das Kreuz von Byzanz herausgefunden?«
»Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen. Es hat sich nichts ergeben.«
»Und du hast von einem perfekten Plan gesprochen!«
»Er war perfekt. Elena konnte nicht wissen, dass die Caetani di Villareale alle tot sind: Leone kamen vor fast zehn Jahren bei einem Jagdunfall ums Leben, und seine Eltern Sophie und Alberto starben beide an Krebs. Ich präsentiere mich unter falschem Namen der armen Cousine, die, vom Tod des Großvaters bestürzt, ihrem einzigen noch lebenden Verwandten alles über das Kreuz von Byzanz erzählt, was sie weiß. Logisch, oder? Aber es ist schiefgegangen.«
»Hat nicht einmal die Sache mit dem Brief funktioniert?«
»Nein. Auch wenn Elena natürlich nicht geahnt hat, dass der angebliche Brief an Lodovico nicht von seiner Tochter
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