Das Reliquiar
Karren sollten entladen und das Gepäck
ins Haus gebracht werden. Schließlich reichte er Beatrice die Hand und sagte: »Kommt, Gemahlin. Jetzt zeige ich Euch den Ort, der Euer Heim sein wird. Für den Rest Eures Lebens.«
»Seine Exzellenz der hochehrwürdige Cesare Borgia, Herr.«
Urbano hatte Beatrice in ihre Gemächer geführt und zeigte ihr ein riesiges Bett mit einem purpurroten Baldachin über einem Gestell aus Rosenholz. Er hatte darum gebeten, nicht gestört zu werden, doch als er den Namen hörte, lächelte er erfreut. »Cesare ist hier?«, rief er. »Kommt, Beatrice, Ihr müsst ihn unbedingt kennenlernen.« Er nahm sie beim Arm und zog sie mit sich.
Man munkelte, dass Cesares Vater, Papst Alexander VI., seinen Sohn bald zum Kardinal ernennen würde. Er war bereits Erzbischof von Valencia – wie vor ihm sein Onkel Kalixt III. und dessen Vater -, obwohl er jene Diözese nie betreten hatte. Zu seinem großen Bedauern war es ihm nicht möglich gewesen, an der Hochzeitsfeier teilzunehmen, aber er hatte dem Brautpaar einige erlesene Ballen Brokat und Seide sowie eine ziselierte Silbervase geschickt.
Ein wenig besorgt, folgte Beatrice ihrem Ehemann in einen Salon im Erdgeschoss. Sie brachte es nicht über sich, Urbano zu sagen, dass sie Cesare schon einmal begegnet war, im Haus seiner Schwester Lucrezia. Ein Grund dafür war, dass sie ihn in schlechter Erinnerung hatte: So faszinierend er auch sein mochte, es gab etwas Grausames in ihm.
Die beiden Männer umarmten sich.
»Siehst gut aus für jemanden, der gerade geheiratet hat!«, entfuhr es Cesare und hielt Urbano an den Schultern. Sie ähnelten sich so sehr, dass man sie für Brüder hätte halten können. Doch Cesares Augen waren dunkel, und der Blick dieser Augen, die Menschen erzittern lie ßen, wenn sie zornig glitzerten, richtete sich voller Bewunderung auf Beatrice. »Wie habt Ihr es über Euch gebracht, diesen Berserker zu heiraten?«, fragte Cesare mit einem strahlenden Lächeln. »Ihr seid ein Spatz gewesen, als ich Euch im Haus meiner Schwester gesehen habe, und jetzt seid Ihr eine einzige Pracht!«
Nicholas’ Stimme weckte Elena aus der Trance und drängte die von Beatrice zurück.
Sie öffnete die Augen und blinzelte, vom Licht der Lampe geblendet. »Warum hast du mich nicht in der Hypnose gelassen?«, fragte sie.
»Ich möchte dich nicht zu sehr ermüden«, erwiderte Nicholas und schaltete den Recorder aus. »Außerdem ist es besser, stufenweise vorzugehen.«
»Wie war’s?«
»Bruchstückhafter als in Edinburgh. Wie fühlst du dich?«
»Gut«, sagte Elena und setzte sich auf. »Kann ich mir die Aufzeichnung anhören? Ich möchte wissen, was geschehen ist.«
Rom, 25 März 1217
Seit zwei Jahren suchte Manfredi nach dem Kreuz – vierundzwanzig Monate voller Fehler, falscher Fährten
und Enttäuschungen aller Art -, aber er war noch immer arglos, unbedarft und vor allem dem Schwur treu, den er seinem Vater geleistet hatte. Ihm erging es wie Arrigo, für den die Suche nach dem Kreuz zum einzigen Lebensinhalt geworden war. Gelegentlich bekam er einen Brief von seiner Mutter, in dem sie ihn bat, nach Hause zurückzukehren und sich von dem Irrwitz zu befreien, der vor ihm schon seinen Vater aufgezehrt hatte. Doch an Manfredis Antwort änderte sich nie etwas. Seine Mission war wichtiger als alles andere.
Seit einer Weile bemerkte Manfredi, dass die Welt um ihn herum voller Unruhe war: Die Stimmen der Prediger wurden immer lauter, als wollten sie ein Feuer schüren, das sonst erloschen wäre. Es war kein neues Feuer. Der Aufruf von Papst Innozenz III. beim Laterankonzil vor fast anderthalb Jahren war in Frankreich, Deutschland und sogar in England auf ein großes Echo gestoßen. Der neue Papst, Honorius III., hatte ein Datum festgelegt, den 1. Juni 1217. An diesem Tag sollte ein neuer Kreuzzug beginnen, der fünfte, und Jerusalem befreien, nachdem die Stadt 1192 von Salah ad-Din Yusuf bin Ayyub erobert worden war, allen unter dem Name Saladin bekannt.
Manfredi fühlte sich verpflichtet, dem Ruf zu folgen. Als sein Brief mit dem Hinweis darauf, dass er sich dem Kreuzzug anschließen wolle, Sandriano erreichte, war er bereits unterwegs nach Brindisi, wo dreihundert Schiffe darauf warteten, die Kreuzfahrer an Bord zu nehmen.
»Dein Bruder ist völlig von Sinnen!«, entfuhr es Iolanda, und sie ließ den Brief fallen, den sie Elisa gerade vorgelesen hatte.
»Warum seid Ihr so verärgert?«, fragte die junge Frau. »Ihr solltet
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