Das Reliquiar
an, dass es längst Morgen war. Genau in diesem Moment öffnete Nicholas die Augen. »Ich habe also nicht geträumt«, murmelte er und strich ihr zärtlich über den Rücken.
Elena zerzauste ihm das Haar. »Wir müssen aufstehen, Faulpelz.«
»Auf gar keinen Fall«, erwiderte er.
»Darf ich dich was fragen?«
»Nur zu.«
»Wann hast du gemerkt, dass du mich noch liebst? In Edinburgh hatte ich den Eindruck, dass dich nur Freundschaft mit mir verbindet. Hinzu kam vielleicht ein vages Bedauern in Hinsicht auf unsere Beziehung, aber mehr nicht.«
»So seltsam es für dich auch klingen mag: Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben, selbst dann nicht, als ich mit Juliet zusammen war. Das mag einer der Gründe dafür sein, warum wir uns schon kurze Zeit später wieder getrennt haben. Du ahnst nicht, wie sehr ich mich selbst verflucht habe, dass ich nicht den Mut fand, in Edinburgh mit dir darüber zu reden.«
»Deshalb warst du sofort bereit hierherzukommen.«
»Ja.«
Elena seufzte erneut. »Das ist alles sehr... romantisch, Nicholas. Und was zwischen uns war... Ich erinnere mich gern daran. Aber ich denke, wir sollten es nicht zu eilig haben.«
»Traust du mir nicht? Befürchtest du, dass ich bei der ersten Gelegenheit...«
»Ich bitte dich nur um etwas Zeit«, unterbrach sie ihn.
»Nimm dir so viel Zeit, wie du willst, aber zieh meine Gefühle nicht in Zweifel.«
»Ich bitte dich, sag nichts mehr.« Elena stand auf und zog sich an. »Es ist nicht richtig, meine Schwäche so
auszunutzen.« Sie ging durchs Zimmer in Richtung der Treppe.
Nicholas warf fluchend die Decke zur Seite, sprang aus dem Bett und griff hastig nach Hemd und Hose. Er streifte die Sachen schnell über und eilte dann die Treppe ins Erdgeschoss hinunter. Elena stand auf der Terrasse und sah übers Meer.
»Ich versichere dir, dass es mir nicht darum geht, dich irgendwie auszunutzen«, sagte Nicholas und näherte sich ihr.
Elena sah ihn an und ergriff seine Hand. »Mir wird kalt. Lass uns reingehen und etwas essen.«
»Hast du mir nichts anderes zu sagen? Nur das?«, fragte Nicholas enttäuscht.
»Du musst Geduld haben, Nick. Auch weil wir zuerst herausfinden müssen, was aus Beatrice geworden ist. Und aus dem Kreuz.«
Etwas später streckte sich Elena auf dem Sofa aus, und Nicholas nahm auf einem Stuhl neben ihr Platz. Er hatte die Fensterläden geschlossen und alle Lampen ausgeschaltet, bis auf eine, deren Licht direkt ins Gesicht der jungen Frau schien. Auf dem nahen kleinen Tisch stand ein Kassettenrecorder, den sie in einer Schublade gefunden hatten. Das Gerät war alles andere als modern, aber es genügte für ihre Zwecke.
»Bist du so weit?«, fragte Nicholas ein wenig nervös.
Elena schloss die Augen, atmete tief durch und nickte. Sie fühlte den warmen Schein der Lampe im Gesicht, und Nicholas’ ruhige Stimme erleichterte es ihr, sich zu entspannen. Sie fiel schnell in Trance.
Ohne eine einzige Träne umarmte Beatrice ihre Eltern und stieg mit Urbanos Hilfe in die Sänfte. Nachdem er die Gardinen zugezogen hatte, schwang er sich in den Sattel seines schwarzen Pferds und ritt an der Spitze des Zuges in Richtung Palazzo Brandanti Malaterra.
Entlang der Straße hatten sich viele Schaulustige eingefunden, angelockt von der eleganten Sänfte, der mit Koffern beladene Karren sowie zahlreiche Bedienstete und Knappen folgten. Urbano war recht bekannt, und Beifallsrufe erklangen, als er vorbeiritt. Als Beatrice die Stimmen hörte, schob sie die Gardinen beiseite und sah ihren Ehemann, der den Leuten selbstzufrieden zuwinkte. Als sie ihn auf diese Weise im nichts verbergenden Sonnenschein erblickte, schauderte es sie unwillkürlich. Sie erinnerte sich daran, was in der vergangenen Nacht geschehen war, und fragte sich, ob es immer so sein oder sie sich vielleicht irgendwann daran gewöhnen und nichts mehr fühlen würde.
Die Strecke war kurz, und es dauerte nicht lange, bis der Zug den großen Hof des Palazzo erreichte, wo sich die ganze Dienerschaft versammelt hatte, um die neue Herrin zu begrüßen.
Urbano stieg vom Pferd, überließ die Zügel einem Schildknappen, trat zur Sänfte und half Beatrice beim Aussteigen. Eine junge Frau löste sich aus der Gruppe der Wartenden und näherte sich mit einem Blumenstrauß. Beatrice nahm ihn lächelnd entgegen, und die junge Frau verneigte sich und wich zurück.
»Das ist Porzia«, sagte Urbano. »Sie gehört Euch. Macht mit ihr, was Ihr wollt.« Dann gab er seine Anweisungen – die
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