Das Reliquiar
schreckliches Projekt verwirklichen.«
Elena sah Enzo ungläubig an. »Und das soll ich glauben? Wenn das Projekt Leben dir genug geboten hätte, wärst du sicher bereit gewesen, die Reliquie zu verkaufen, ohne dich darum zu scheren, wozu sie benutzt wird. Und woher willst du wissen, was deine... Auftraggeber mit dem Kreuz vorhaben?«
»Sie haben mir garantiert, dass sie das Holzstück aus rein wissenschaftlichem Interesse untersuchen wollen.«
»Oh, natürlich«, spottete Elena.
»Schluss damit«, sagte Enzo scharf. »Kommen wir zur Sache. Wenn ihr nicht bereit seid, mir Antworten zu liefern, muss ich Gewalt anwenden. Ich gebe euch ein wenig Zeit, darüber nachzudenken.« Er wandte sich an Stefano Monti. »Sperr sie in den Keller.«
Wewelsburg, 11. November 2006
»Such Bruno, und sag ihm, dass ich ihn in fünf Minuten im Wappensaal erwarte«, wies Otto von Odelberg Karl an.
Der Baron war sehr erbost. Bruno hatte ihm erklärt, dass er während seines Aufenthalts im Schloss Sandriano fast in die Ermittlungen um einen Mordfall verwickelt worden wäre. Er schien nicht begriffen zu haben, dass er bereits mittendrin steckte. Ein Telefonanruf hatte Otto geweckt. Der Polizeikommissar von Wewelsburg hatte ihm mitgeteilt, dass er von den italienischen Behörden in Hinsicht auf die Ermordung eines gewissen Saverio Vannelli kontaktiert worden sei. Jemand hatte sich in Sandriano als ein Cousin Elena Brandantis ausgegeben und damit die Identität eines Mannes angenommen, der schon seit einer ganzen Weile tot war. Und dieser Unbekannte hatte sich zum Zeitpunkt des Mordes in der Nähe des Tatorts befunden.Anhand gewisser Spuren war es möglich gewesen, Bruno als den angeblichen Cousin zu identifizieren – er musste unverzüglich vernommen werden. Mit einer geschickten Mischung aus Drohungen
und Versprechen hatte Otto den Kommissar dazu gebracht, von einem sofortigen Verhör Abstand zu nehmen, aber er wusste, dass die Polizei früher oder später zur Burg kommen würde.
Die Tür öffnete sich, und Karl erschien. »Herr Bruno ist nicht im Haus, Baron. Er hat es in aller Frühe verlassen.«
»Ruf ihn an«, knurrte Otto. »Er soll sofort zurückkommen.«
»Wie Sie wünschen.«
Brunos Unvorsichtigkeit stellte den Erfolg jahrelan ger Forschungen infrage, und das ausgerechnet jetzt, da das Ziel in greifbare Nähe rückte. Der Baron konnte nicht zulassen, dass all seine Bemühungen zunichtegemacht wurden. Er hatte nicht einfach aus Lust und Laune Riesensummen für die Einrichtung von Laboratorien und die Bezahlung der besten Wissenschaftler ausgegeben. Sein Projekt war grandios und nur von einem überlegenen Intellekt wie seinem zu verstehen. Die Welt würde es voller Begeisterung begrüßen, wenn sie schließlich reif genug dafür sein würde.
Das Telefon klingelte. Aus seinen Gedanken gerissen, griff Otto nach dem Hörer. »Ja?«
Er hörte eine Stimme, die er sehr gut kannte. Das Gespräch war kurz, und als der Baron auflegte, lächelte er.
19
Ural, 18. Oktober 1245
Für einen Augenblick glaubte er zu träumen. Dann wurde ihm klar, dass das Bett, auf dem er lag, tatsächlich existierte, ebenso die Kerzen in der Nähe und das Feuer im steinernen Kamin. Ebenso real war der stechende Schmerz in seinem verbundenen Rücken.
Jemand beugte sich zu ihm herab, hob seinen Kopf und setzte ihm einen Napf an die Lippen. »Das gibt Euch Kraft und lindert den Schmerz«, erklang eine Stimme.
In kleinen Schlucken trank Gualtiero die warme und leicht bittere Flüssigkeit, sank dann zurück, schloss benommen die Augen und schlief wieder ein.
Als er das nächste Mal erwachte, war es Tag.Vorsichtig setzte er sich auf und ließ den Blick umherwandern. Das Zimmer war recht groß. Abgesehen von dem alten Bett, in dem er geschlafen hatte, bestand die Einrichtung nur aus zwei Truhen, einem Tisch und zwei Stühlen. Die Wände waren kahl, bis auf die eine, an der das Bett stand: Dort hing ein golden bemaltes Holzkreuz mit dem Bild Jesu Christi, der von Licht umgeben war und dessen leiderfüllter Blick die Kraft des Fleisch gewordenen Gottes zum Ausdruck brachte, der gekommen war, um die Welt zu erlösen.
Die Tür öffnete sich, und ein hochgewachsener, dünner Mann trat ein, der in eine schwarze Kutte gekleidet
war. Langes graues Haar säumte sein markantes Gesicht. Er hatte dünne Lippen, eine lange Nase und dunkle, durchdringend blickende Augen. »Ich dachte mir, dass Ihr vielleicht wach seid. Ich bringe Euch etwas zu essen«, sagte er und
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