Das Reliquiar
sicher
war, es auf den ersten Blick zu erkennen. Als er das Kleinod auf dem Samtkissen sah, wusste er sofort, dass es sich nicht um das Kreuz von Byzanz handelte. »Es ist nicht das Objekt, das ich suche«, sagte er niedergeschlagen.
Der Mönch musterte ihn voller Anteilnahme. »Das tut mir leid.Von ganzem Herzen habe ich gehofft, dass Ihr am Ende Eurer Suche angelangt wärt, denn ich ahne, wie wichtig es für Euch ist, das Kreuz zu finden. Aber Gott hat es Euch anscheinend anders bestimmt, und Ihr müsst Euch mit Seinem Willen abfinden.«
»Ja, ich muss ihn akzeptieren, auch wenn er wie eine Verdammnis auf mir lastet.Vielleicht hält Gott mich nicht für würdig, das Kreuz zu finden.«
»Anderen wird gelingen, was Euch versagt geblieben ist. Habt Vertrauen.«
Polizeipräsidium von Sandriano, 11. November 2006
Polizeipräsidentin Claudia Roldani war eine schöne Frau um die vierzig, groß und schlank. Sie wirkte immer elegant, zeichnete sich durch eine sehr professionelle Einstellung aus und schien überhaupt keine Gefühle zu haben, was sie ihren Untergebenen, zu denen auch Guido Valente zählte, nicht unbedingt sympathisch machte.
»Wie sehen Sie denn aus? Haben Sie die Nacht im Freien geschlafen?«, fragte sie mit halbem Lächeln, als Valente ihr Büro betrat. Er war aufgefordert worden, so schnell wie möglich ins Präsidium zu kommen, und das verhieß nichts Gutes.
Valente wusste um den Bart, die zerknitterte Hose
und die Kaffeeflecken am Hemd. »Ich bin die ganze Nacht im Kommissariat gewesen«, erwiderte er.
»Genau aus diesem Grund wollte ich Sie sprechen. Nach Ihren letzten Berichten zu urteilen, kommen die Ermittlungen beim Mordfall Vannelli nicht voran. Es gibt keine Tatverdächtigten, nichts, das eine baldige Lösung des Falles verspricht.«
»Darüber wollte ich ebenfalls mit Ihnen reden. Die Ermittlungen sind deshalb so schwierig, weil die Personen, die Licht in den Fall bringen könnten, die Aussage verweigern. Es handelt sich um sehr wichtige Personen, die für einen gewöhnlichen Polizeibeamten wie mich unerreichbar sind. Deshalb wollte ich Sie bitten, mir dabei zu helfen...«
»Ich soll Ihnen helfen? Sie ahnen nicht, wie viele Beschwerden über Ihr Vorgehen ich bekommen habe. Der Vatikan hat gegen Ihre völlig grundlosen Anfragen protestiert …«
»Wir haben einen Zeugen, der ein vatikanisches Kennzeichen gesehen hat...«
»An einem Wagen, der überhaut nicht existiert! Oder haben Sie ihn in der Zwischenzeit gefunden? Und was ist aus dem Fahrer geworden? Hat er sich vielleicht im Nebel aufgelöst?«
Valente senkte den Kopf.
»Aus Deutschland kommt Protest gegen Ihre Ermittlungen, die den Baron von Odelberg betreffen. Der Baron droht damit, Sie zu verklagen, wenn Sie Ihre Verleumdungskampagne fortsetzen. Ihr... Übereifer hätte fast zwei diplomatische Zwischenfälle zur Folge gehabt.«
»Übereifer?«, wiederholte Valente. »Ich habe nur meine Pflicht getan, und diese Reaktionen zeigen doch, dass ein wunder Punkt berührt worden ist. Wahrscheinlich bin ich der Wahrheit zu nahe gekommen, und jetzt versucht man, mich auf diese Weise an weiteren Ermittlungen zu hindern. Aber ich lasse mich nicht einschüchtern!«
»Ich weiß.« Die Polizeipräsidentin seufzte. »Und deshalb nehme ich Ihnen diesen Fall ab. Ich kann den Druck, den man auf uns ausübt, nicht einfach ignorieren. Von heute an kümmern Sie sich um andere Dinge. Ich werde Inspektor Mamberti bitten, Sie abzulösen.«
Valente wusste genau, dass es sinnlos war, Einspruch zu erheben.Wenn Claudia Roldani einmal eine Entscheidung getroffen hatte, so hielt sie eisern daran fest.
Wortlos stand er auf und grüßte nicht einmal, bevor er das Büro verließ.
Bannockburn (Schottland), 24. Juni 1314
Ruggero Brandanti blutete, doch der Schmerz seiner Wunden war nichts im Vergleich zu der Pein über den Tod seines Vaters. Graf Guido hatte im Gewühl wie ein Löwe gekämpft, aber er war vom Chaos regelrecht verschlungen worden und im heillosen Durcheinander verschwunden – Ruggero hatte ihn aus den Augen verloren. Sein Vater hatte nicht die Trompeten gehört, die zum Rückzug bliesen. Zwei Tage und zwei Nächte hatte er für eine Sache gekämpft, die gar nicht seine war, für die er aber dennoch eintrat. Und jetzt, als Robert the Bruce endlich den Sieg errungen hatte, war
Guido Brandanti nicht mehr da, um mit ihm zu feiern.
Es blieb Ruggero nichts anderes übrig, als den Leichnam zu suchen, damit sein Vater ein angemessenes Begräbnis
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