Das Reliquiar
bekam. Keine leichte Sache auf dem Schlachtfeld und seinem unüberschaubaren Gewirr aus toten Menschen und Tieren, Lanzen, Rüstungsteilen und ganzen Wäldern aus Pfeilen in Leichen und Boden.Vermutlich hätte er die Reste seines Vaters nie gefunden, wenn nicht die beiden Schildknappen gewesen wären, die die Insignien des Grafen unter einem Haufen aus Toten entdeckten.
Es war bereits Nacht, als die Leiche schließlich geborgen und auf eine Decke gelegt wurde.
Ruggero bedeckte das entstellte Gesicht und kniete lange, so voller Kummer, dass die Schildknappen nicht den Mut fanden, ihn aufzufordern, den Toten zum Schloss zu bringen. Stumm warteten sie, während auf dem Schlachtfeld auch das letzte Stöhnen und Ächzen aufhörte. Nicht nur Bedienstete schritten mit Fackeln umher, sondern auch Ritter und Geistliche, die die Gefallenen segneten. Nach einer Weile kam auch Robert the Bruce mit einer kleinen Gruppe. Er erkannte Ruggero, näherte sich und legte ihm die Hand auf die Schulter. Er sagte kein Wort, aber die Geste veranlasste den jungen Mann, den Kopf zu heben und Robert anzusehen. »Sir...«, murmelte er.
»Überlasst es meinen Männern, sich um Euren Vater zu kümmern«, sagte der König. »Später werdet Ihr Gelegenheit erhalten, um ihn zu trauern und ihm die Ehre zu erweisen, die ihm gebührt. Begleitet mich. Im Schloss
könnt Ihr Eure Wunden behandeln lassen und ausruhen.«
Ruggero widersprach nicht; dafür war er viel zu schwach.
»Auch Ihr könnt nicht schlafen, Signor Ruggero?«, fragte Robert the Bruce.
»Nein, Herr«, erwiderte Ruggero und trat näher. Er hatte versucht, Ruhe zu finden, aber wenn er die Augen schloss, sah er nur erneut die Schlacht, hörte den Lärm der Waffen und nahm den Geruch des Todes wahr. Schließlich hatte er die Decke beiseitegeworfen und war in den großen Saal hinuntergegangen, auf der Suche nach Wein, um seine Sinne zu betäuben. Zu seiner gro ßen Überraschung traf er dort den König an, der einen mächtigen Becher in der Hand hielt.
»Möchtet Ihr Wein? Bedient Euch. Nehmt Platz und leistet mir Gesellschaft.«
Ruggero kam der Aufforderung nach. »Ich habe nicht damit gerechnet, Euch hier vorzufinden, Sire.«
»Nach einer Schlacht fällt mir das Schlafen immer schwer. Vor allem dann, wenn dabei wie diesmal viel Blut geflossen ist.«
»Die Engländer haben einen höheren Preis bezahlt als wir, Herr.«
»Das stimmt«, bestätigte der König. »Aber der errungene Sieg stellt mich seltsamerweise nicht zufrieden. Ich kann es kaum glauben, dass Schottland nach all den Jahren des Kampfes endlich frei ist und ich die Krone errungen habe.Vielleicht liegt es daran, dass mir jetzt klar ist, welch schwere Aufgabe vor mir liegt. Über Jahrhunderte
hinweg waren die Clans zerstritten, und nur das gemeinsame Ringen um dieses Land hat sie vereint.Wird es mir gelingen zu verhindern, dass sie erneut gegeneinander kämpfen? Vielleicht ja, aber um Erfolg zu haben, brauche ich treue, zuverlässige Männer.« Der König richtete einen aufmerksamen Blick auf Ruggero. »Männer wie Euch.«
»Bietet Ihr mir an, in Euren Diensten zu bleiben, Sire?«
»Ich biete Euch an, Mitglied meines Rates zu werden. Ich gebe Euch Land, Schlösser und Privilegien. Und ich gebe Euch auch eine Ehefrau, wodurch Ihr von Rechts wegen zu einem Clan gehört.«
»Das ist eine große Ehre, Sire, aber ich fürchte, ich kann Euer Angebot nicht annehmen«, erwiderte Ruggero bedauernd.
»Antwortet nicht sofort. Lasst Euch Zeit, und denkt darüber nach. Welche Entscheidung Ihr auch immer trefft, ich akzeptiere sie. Jetzt sage ich Euch gute Nacht, mein Freund.Versucht ebenfalls, Ruhe zu finden.«
Ruggero sah dem König nach und schüttelte den Kopf. Robert the Bruce war ein großer Mann, und bestimmt würde er ein großer König. Aber Ruggero konnte nicht in Schottland bleiben. Durch den Tod seines Vaters war er Erbe der Lehnsgüter in Italien geworden, und wenn er nicht zurückkehrte, um sein Erbe anzutreten, hätte sein Bruder Roderigo Anspruch darauf erhoben – eine Möglichkeit, die für den Grafen Guido einer Katastrophe gleichgekommen wäre, denn Roderigo galt als unfähig und überheblich. Und dann war da noch das Kreuz... Zusammen mit seinem Vater war
er in dieses raue, wilde Land gekommen – wo sich die Männer das Gesicht blau färbten, wenn sie in den Krieg zogen -, um einem alten Schwur gerecht zu werden, den sein Großvater Gualtiero seinem Vater abgenommen hatte, und dieser ihm. Ihre Mission
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