Das Reliquiar
Schwertspitze seines Widersachers an der Kehle.
Er ließ seine Waffe fallen, straffte die Gestalt und verschränkte die Arme. »Du hast gewonnen, Cousin. Aber ich habe keine Angst vor dem Tod.«
»Und ich habe nicht vor, dich zu töten«, erwiderte Oliviero ruhig.
Enrico starrte ihn verwirrt an.
»Ganz im Gegenteil, ich biete dir Vergebung an, wenn du mir all das zurückgibst, was du mir unrechtmäßigerweise genommen hast.«
Enrico musterte ihn misstrauisch und hielt das großzügige Angebot zunächst für einen Trick. Doch in Olivieros Augen sah er nur stillen Schmerz und tiefe Erschöpfung. »Einverstanden«, sagte er daraufhin, hob sein Schwert auf und reichte es Oliviero.
Wewelsburg, 13. November 2006
Bruno führte Elena zu ihrem Zimmer zurück, und dort ließ sie sich in einen Sessel sinken. Sie war angewidert und entsetzt. Die Burg hatte sich als wahres Schloss des Schreckens erwiesen – sie befand sich in der Gewalt eines Wahnsinnigen.
Ihr Abscheu war so groß, dass sie ihn klebrig an sich zu spüren meinte. Deshalb beschloss Elena, ein Bad zu nehmen, in der Hoffnung, sich danach besser zu fühlen. Während sich die Wanne füllte, wählte sie besonders gut riechendes Badesalz und gab eine großzügige Hand voll ins Wasser. Dann zog sie sich aus, stieg in die Wanne
und begann damit, sich so energisch abzuschrubben, dass sich die Haut rötete. Schließlich streckte sie sich lang aus, legte den Kopf an den runden Wannenrand und schloss die Augen.
Eine halbe Stunde später nahm sie etwas entspannter vor dem Kamin Platz, um ihr Haar in der Wärme des Feuers zu trocknen. Doch schon bald fesselte der Tanz der Flammen ihre Aufmerksamkeit, und wie hypnotisiert beobachtete sie die züngelnden Bewegungen. Ihr Handtuch fiel zu Boden, ohne dass sie es bemerkte – sie war vollkommen auf das Feuer konzentriert. Geräusche kamen aus der Ferne und zogen Elena in eine andere Zeit und zu einem anderen Ort, ohne dass sie sich dagegen wehrte.
Beatrice war außer sich.
Mit dem Hinweis auf ihre schwierige Schwangerschaft hatte sie Urbano schon vor einer ganzen Weile aus dem gemeinsamen Bett verbannt und war froh über diesen Vorwand, die Nacht ohne ihn verbringen zu können. Nach der Geburt des Kindes hatte sein Exil noch einige weitere Monate lang angedauert. Natürlich ließ sich Urbano unterdessen mit anderen Frauen ein, aber das störte Beatrice überhaupt nicht.
Bis sie herausfand, dass auch Porzia zu seinen Mätressen zählte.
Und die einfache Porzia, ihr ganz persönliches Dienstmädchen, wurde mit jedem verstreichenden Tag dreister und arroganter.
Beatrice hatte sie mehrmals gerügt und vor strenger Strafe gewarnt, ohne dass es etwas nützte. Porzia begann
sogar damit, ihr freche Antworten zu geben. Als sie absichtlich das Gewand ruinierte, das Beatrice bei einem Bankett hatte tragen wollen, war das Maß voll. Sie ohrfeigte die junge Frau und gab dann die Anweisung, sie vor der ganzen Dienerschaft auszupeitschen. Beatrice hätte die Peitsche selbst geschwungen, wenn ihr das nicht ungehörig erschienen wäre. Trotzdem bereiteten ihr jeder Peitschenhieb, der Porzias nackten Rücken traf, und die Schreie der Bestraften tiefe Genugtuung.
Dann kam Urbano. Für einen Augenblick fürchtete Beatrice, dass ihr Mann die Strafe vorzeitig beenden würde, aber das war nicht der Fall.Wortlos trat er an ihre Seite und sah zu. Anschließend verließ er den Raum zusammen mit ihr, während die ohnmächtige Porzia fortgetragen wurde und die Bediensteten an ihre Arbeit zurückkehrten.Als sie ihre Gemächer betraten, sagte Urbano: »Ich hoffe, Ihr habt einen guten Grund, die junge Frau auf eine solche Weise zu bestrafen.«
»Ihr Verhalten hat mich dazu gezwungen, mein Herr. Porzia hat meinen Ermahnungen keine Beachtung mehr geschenkt und mir dadurch keine Wahl gelassen. Ich durfte ihre Frechheit nicht länger hinnehmen.«
»Wenn das so ist, kann ich Euch nur zustimmen. Ihr habt richtig gehandelt.«
Nach diesem Zwischenfall zeigte Porzia mehr Respekt, obgleich Urbano die Beziehung mit ihr fortsetzte. Aber bestimmt fürchtete und hasste sie Urbanos Ehefrau, und Beatrice begann ernsthaft darüber nachzudenken, wie sie Porzia für immer loswerden konnte.
Daran dachte sie auch jetzt, als sie auf einem hohen, mit karmesinrotem Samt bezogenen Stuhl saß, gekleidet
in ihr prächtigstes Gewand und mit ihrem Familienschmuck – sie ließ sich von Jacopo Castelli malen, den sie unter ihre Fittiche genommen hatte. Sie merkte erst,
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