Das Reliquiar
und versucht, sie zu wecken. Aber sie reagiert nicht. Soll ich den Arzt rufen?«
»Nein«, erwiderte Bruno. »Gehen Sie nur, Gertrud. Ich kümmere mich um die junge Dame, bis sie erwacht.«
Gertrud zögerte ein oder zwei Sekunden und ging dann.
Bruno nahm neben dem Sofa Platz und strich Elena über das feuchte Haar. »Wo bist du?«, fragte er leise. »In welcher vergangenen Epoche bist du unterwegs? Das Kreuz... Bitte sag mir, wo du es versteckt hast.«
Elena bewegte sich in der Trance, und unter den geschlossenen Augen huschten die Augen von einer Seite zur anderen. Ungeduldig ergriff Bruno sie an den Schultern und schüttelte sie. »Hörst du mich? Du musst mir sagen, wo sich das Kreuz befindet! Heraus mit der Sprache, verdammt!«
Die Tür öffnete sich, und Otto kam herein, gefolgt von Gertrud. »Was geht hier vor?«, fragte er.
»Nichts«, antwortete Bruno. »Gertrud hat Elena in diesem Zustand gefunden und mir Bescheid gegeben. Ich habe vergeblich versucht, sie zu wecken, und weil ich mir Sorgen mache, bin ich bei ihr geblieben.«
Der Blick des Barons durchbohrte ihn. »Du hättest mich verständigen sollen.«
»Das habe ich nicht für nötig gehalten. Ich dachte, sie kommt wieder zu sich.«
»Zum Glück hat Gertrud mir davon berichtet«, sagte Otto und wandte sich an das Hausmädchen. »Bringen Sie ihn hierher.«
»Aber...«, begann Bruno.
»Sei still!«, knurrte der Baron.
Kurze Zeit später betrat Nicholas das Zimmer und stürmte sofort auf Bruno zu. »Nimm die Finger von ihr!«, zischte er und stieß Bruno mit solcher Wucht zur Seite, dass er ins Straucheln geriet. Dann beugte er sich über Elena und kontrollierte Puls und Atmung. »Seit wann ist sie so?«, fragte er, ohne sich umzudrehen.
»Ich weiß nicht«, sagte Bruno.
Nicholas drehte den Kopf und sah ihn zornig an. »Du weißt es nicht? Ich nehme an, du weißt auch nicht, wie gefährlich das für sie ist, oder?«
»Sie schien mir nicht in Gefahr zu sein«, erwiderte Bruno. »Ich habe nur versucht, sie zu wecken. Schaden wollte ich ihr sicher nicht.«
»Ich hoffe für dich, dass Elena keine schlimmen Folgen davonträgt, denn sonst kriegst du es mit mir zu tun. Und jetzt... lasst mich bitte mit ihr allein.«
»Was haben Sie vor?«
»Ich werde versuchen, Elena in die Gegenwart zurückzuholen.«
»Und warum sollen wir gehen?«, fragte Bruno.
Nicholas sah Otto an. »Baron, ich bitte Sie...«
Otto nahm Bruno am Arm und zog ihn mit sich zur Tür.
Nicholas beobachtete, wie sich die Tür hinter ihnen schloss. Er seufzte tief, bevor er sich Elena zuwandte. Die Hand, die er ergriff, fühlte sich sehr kalt an, aber Puls und Atmung waren normal. Offenbar befand sie sich in sehr tiefer Trance. Bruno hatte wahrscheinlich versucht, ihren Zustand auszunutzen, um herauszufinden, wo das Kreuz versteckt war. »Elena, Schatz, ich zähle jetzt bis drei, und dann wachst du auf. Du wirst dich unbeschwert und ausgeruht fühlen. Hörst du mich?«
Noch immer bewegten sich die Augen unter den Lidern.
»Hör mir zu, Elena. Hör auf meine Stimme und lass dich von ihr zurückbringen. Ich zähle jetzt bis drei, und dann kehrst du in die Gegenwart zurück. Eins... zwei … drei.«
Zuerst bewegten sich nur kurz die Finger, dann bebten die Lippen, und von dort aus erfasste das Zittern den ganzen Körper. Schließlich öffnete Elena die Augen. Als sie Nicholas erkannte, zeigte sich Überraschung in ihrem Gesicht. »Nick... Was machst du hier? Was ist passiert?«
»Erinnerst du dich an gar nichts?«, fragte er.
»Ich erinnere mich daran, ein Bad genommen zu haben. Dann wollte ich vor dem Kamin das Haar trocknen
... Lieber Himmel, ich bin in Trance gefallen! Aber wie kommst du hierher?«
»Der Baron hat mich geholt. Bruno schaffte es nicht, dich zu wecken, und so wurde mein Eingreifen nötig.«
»Bruno war hier?«, fragte Elena und klang alarmiert. Dann schlang sie Nicholas die Arme um den Hals. »Oh Nick, diese Regression war besonders intensiv! Ich glaube, ich habe erlebt, wie Jacopo Castelli das Bild von Beatrice gemalt hat, und wie sie sich zum ersten Mal liebten... Beatrice war sehr wütend, weil Urbano sie mit dem Dienstmädchen Porzia betrog. Sie war nicht eifersüchtig, sondern fühlte sich gedemütigt, denn immerhin handelte es sich nur um eine einfache Bedienstete. Sie ließ sich sogar dazu hinreißen, Porzia vor der ganzen Dienerschaft auszupeitschen. Was für eine schreckliche Frau!«
Nicholas gab ihr einen Kuss, löste sich dann aus ihrer
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