Das Rennen zum Mars
sagte sie sich.
Unterhalb des Beckenrands liefen verschlungene Kanäle in grotesken Winkeln auseinander. Sie verliefen horizontal, und sie folgten dem Verlauf dieser Kanäle, bis die stetig sich absenkende Decke ihrem Forscherdrang Einhalt gebot. Es wäre Zeitverschwendung, in Sackgassen hineinzukriechen, sagte sie sich. Sie kehrten zum Hauptkanal zurück und stießen dort auf eine breite abschüssige Passage.
Sie war rutschig, und sie mußten aufpassen, wohin sie traten.
Die Matten glichen hier Vorhängen, die den steten Strom aus Wasserdampf vom Hauptschacht der Fumarole aufsogen. Ein paar machten den Eindruck, drehbar am Gestein angeschlagen zu sein, um sich nach dem Ziehen der Wasserdampf-Schwaden auszurichten. Sie nahm eifrig Proben und hatte kaum Zeit, das eigentümliche Wallen dieser dünnen Membranen zu beobachten, die träge flappenden Fahnen glichen.
»Sie müssen die Oberfläche maximieren, um möglichst viel von dem nährstoffreichen Dunst aufzunehmen«, mutmaßte sie.
»Unheimlich«, sagte Marc. »Und schau nur, wie weit sie sich entfalten.«
»Es wird hier Biomasse in Hülle und Fülle geben.«
»Frage mich, ob sie eßbar ist.«
»Hungrig, was?« Beide lachten, doch wirkte es irgendwie gekünstelt.
An den Biegungen des Kanals waren die Matten mannsgroß. Sie machte jede Menge Aufnahmen mit der Microcam und hoffte, daß die Lichtleistung der Lampe stark genug war, um die Objekte ausreichend zu belichten. Als sie die grauen durchscheinenden Matten anstrahlte, sah sie dahinter ihre Hand.
Der Ursprung dieser Lebensformen lag in den frühen warmen und feuchten Mars-Zeitaltern.
Gab es überall auf dem Planeten solche Labyrinthe, in denen Matten – und was sonst noch? – existierten? Sie waren in der Lage, die vom heißen Marsmantel aufsteigende Feuchtigkeit aufzunehmen und vermochten vielleicht auch den Permafrost zu schmelzen. An den Rändern der irdischen Gletscher lebten nämlich auch Pflanzen, die das Eis mit ihrer Körperchemie zum Schmelzen brachten.
Die Fumarolen einschließlich der Nebenhöhlen erstreckten sich aller Voraussicht nach über einen großen Bereich. Weil die Marsoberfläche unter Berücksichtigung der Topographie eine Ausdehnung wie die Erdoberfläche hatte, stand der Evolution ein großes Experimentierfeld zur Verfügung.
»Solche elfenbeinfarbenen Höhlen gibt es auf der Erde mit Sicherheit nicht«, flüsterte Marc.
Wie denn auch, wo die Erde von aerobem Leben beherrscht wurde. Um dem giftigen Sauerstoff zu entrinnen, zogen die Anaeroben sich in unzugängliche Nischen wie heiße Quellen und Höhlen zurück. In dieser sterilen Umgebung überlebten die Mikroben, wobei ihre Entwicklung jedoch stagnierte und sie sich nicht zu höheren Lebensformen weiterentwickelten. Auf dem Mars hingegen war Leben auf Sauerstoffbasis gar nicht erst entstanden, weil die Atmosphäre sich schon im Frühstadium verflüchtigt hatte.
Julia strich sanft über die Matte, die in der Brise aus Wasserdampf träge sich bauschte. Pflanzen, die im Beinahe-Vakuum gediehen.
Das hätte sie sich nicht einmal in den kühnsten Träumen vorgestellt…
Sie stieg noch ein paar Meter ab und blinzelte. Wieviel sah sie überhaupt, und wieviel war nur Illusion? Das Resultat schlechter Lichtverhältnisse, eines verschmierten Helmvisiers, der überanstrengten Augen …
»He. Es wird Zeit.«
Die Müdigkeit kroch ihr als Schmerz in Arme und Beine. Anfangs schwach, dann immer stärker. Die Erfahrung hatte ihre Sinne geschärft, und sie versuchte, in der noch verbleibenden Zeit möglichst viele Eindrücke aufzunehmen. »In welcher Tiefe sind wir überhaupt?«
Marc hatte die Markierungen am Seil im Auge behalten. »Etwas über einen Kilometer.«
»Wie hoch ist die Temperatur?«
»Fast zehn Grad. Ziemlich warm. Kein Wunder, daß ich die Kälte nicht spüre.«
»Der Schlot erstreckt sich vielleicht noch ein paar Kilometer in die Tiefe, ehe die Temperatur den Siedepunkt erreicht. Und wir haben gerade einmal die Kavernen-Ebene erreicht.«
»Julia …«
»Ich weiß. Wir müssen umkehren.«
»Es wird ein langer und schwerer Aufstieg werden. Oben wird’s bald dämmern.«
Es würde auch tödlich kalt werden auf der Oberfläche, und zwar ruckzuck.
Sie stand auf einem schmalen Vorsprung, ungefähr fünf Meter unterhalb von Marc. Eine seltsame Sehnsucht erfüllte sie.
»Ich weiß. Ich werde dich nicht drängen, keine Sorge. Biologen brauchen schließlich auch Sauerstoff.«
Sie schnitt ein kleines Stück aus einer
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