Das Rennen zum Mars
Handlampe schräg an.
Der Schwarm der Kreaturen war an den Rändern der Mars-Matte viel dichter – Nahrungsaufnahme? Oder etwas anderes?
Diese Vorstellung geisterte ihr im Hinterkopf herum. Die Matte war so drapiert, daß sie für die ›Garnelen‹ leicht erreichbar war.
Welche Beziehung bestand zwischen beiden Lebensformen? Eine Art von Symbiose? Und wie gelangten die schwimmenden Lebewesen überhaupt ins Becken?
Sie und Marc stiegen von der Sohle ab und wickelten Seil ab. Während des Abstiegs verdichtete der Nebel sich, und die Wände wurden glitschig. Sie mußten sich auf ihre Bewegungen konzentrieren.
Die Seilführung wurde auch immer problematischer. Und die ganze Zeit jagten die Gedanken sich in Julias Kopf.
Rund um die Hydrothermalfelder, die sich in einer Tiefe von mehreren Kilometern auf dem Boden der irdischen Ozeane befanden, existierten Organismen, die das dunkelrote Glühen heißer Magma zur Photosynthese nutzten. Dieses ›Tiefseeglühen‹ war ihre Energiequelle. Wäre es möglich, daß irgendwelche Mars-Organismen das Glühen der Matte nutzten? Einen Augenblick …
»Marc, ist dir an den Krabben irgend etwas aufgefallen?«
»Ich weiß überhaupt nicht, wie sie aussehen müßten«, sagte er nach kurzem Nachdenken. »Sie haben jedenfalls so ähnlich ausgesehen wie die Shrimps, die ich zuhause an die Fische verfüttere.«
»Hast du ihre Augen bemerkt?«
»Äh …«
»Die knubbeligen Enden, die mit den hellen Flecken; erinnerst du dich?«
»Ja, was ist damit?«
»Dann hast du sie also auch gesehen.«
»Wieso, worum geht’s überhaupt … oh.«
»Richtig!«
»Ich verstehe; sie dürften eigentlich gar keine Augen haben.«
»Kluger Junge. Ich werde noch einen richtigen Biologen aus dir machen. Auf der Erde haben unterirdisch lebende Organismen die Augen verloren. Die natürliche Auslese zwingt einen Organismus unerbittlich, die Kosten für die Bewahrung einer komplizierten Struktur zu begründen. Du verlierst, was du nicht benutzt.«
»Wenn sie dennoch Augen haben …«
»Mit Blick auf die Erde würden wir sagen, weil sie erst vor kurzem von einem hellen Ort gekommen waren, hätten sie noch keine Zeit gehabt zu erblinden.«
»Aber das ist doch unmöglich. Die von Licht beschienenen Abschnitte des Mars sind seit Milliarden von Jahren kalt und trocken.
Woher hätten sie also kommen sollen?«
»Ich stimme dir zu. Deshalb lautet meine nächste These, daß es hier nicht dunkel genug ist, um das Sehvermögen zu verlieren.«
»Dieses Glühen ist aber ziemlich trübe.«
»In unsren Augen vielleicht. Wir leben schließlich auf einer lichtgesättigten Welt. An so geringe Lichtstärken sind unsre Augen nicht gewöhnt. Falls auf der Erde solche Lichtverhältnisse überhaupt anzutreffen sind, dann in den unterseeischen Hydrothermalfeldern.
Dort unten existieren lichtempfindliche Tiere und sogar Mikroben, die zur Photosynthese befähigt sind.«
»Und wenn es sich nun doch nicht um Augen handelt?«
»Auf jeden Fall sind sie lichtempfindlich. Die Viecher haben sich nämlich unter der Lichtquelle des Mikroskops konzentriert.«
»Toll.«
»Ich brauche zwar noch mehr Informationen, doch immerhin wissen wir nun, daß das Glühen permanent ist. Oder zumindest in einer solchen Häufigkeit auftritt, daß dem Sehvermögen eine gewisse Vorteilhaftigkeit innewohnt. Und daraus folgt wiederum, daß es etwas geben muß, das das Glühen als Energiequelle nutzt. Vielleicht ist die Matte symbiotisch – eine Lebensgemeinschaft aus glühenden und Photosynthese treibenden Organismen?«
»Genau … das deutet darauf hin, daß es sich um Primär-Glühen handelt. Aber zu welchem Zweck?«
»Ich habe keine Ahnung; ich stelle hier nur Mutmaßungen an.«
»Es ist alles so merkwürdig hier unten, wie Alice sagt.«
»Ich wußte gar nicht, daß Jungs auch Alice im Wunderland lesen.«
»Auf jeden Fall scheint unsere Lage Parallelen zu dieser Geschichte aufzuweisen.«
»Dann nix wie rein in den Kaninchenbau.«
Sie schaute nach unten und erkannte in den Ausläufern des schwachen Lichtkegels größere Gebilde. Viel größere. Graue Lagen, eckige Türme, korkenzieherartige Formationen mit einer fahlen Blässe, die in die aufsteigenden Gase hineinragten und sich an ihnen labten. Ein spindelförmiger fleischiger Auswuchs wies eine frappierende Ähnlichkeit mit den Fingern einer Wasserleiche auf, die träge in der Strömung trieb …
Sie schüttelte den Kopf, um ihn klarzubekommen. Mach dich nicht selbst verrückt ,
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