Das Rennen zum Mars
Matte, die wie ein dicker Vorhang gerade noch in Reichweite hing. Sie war erstaunlich zäh, wie dicker Tang. Sie wurde sich bewußt, daß sie angestrengt schnaufte. Der Anzug stieß die verbrauchte Luft mit einem leisen Zischen aus. Plötzlich wirbelte die Matte herum und drückte sie gegen die Felswand. Ihr wurde schwarz vor Augen, als ob jemand einen dicken Vorhang vor ihr zugezogen hätte.
Marc reagierte auf ihren Schrei: »Jules, wo bist du? Ich sehe dich nicht.«
»Hier!«
»Du steckst hinter dieser Matte?«
»Genau.« Atme tief durch und sprich deutlich. »Muß eine Art Reflexreaktion gewesen sein. Ich wollte eine Probe nehmen, und diese Hängematte hat mich eingewickelt.«
Die Ausbildung kam wieder zum Tragen. »Wie ist deine Position?«, fragte Marc in der ruhigen Astronauten-Diktion. »Alles, was ich sehe, ist das Seil.«
»Ich stehe auf einem schmalen Vorsprung und werde von der Matte mit dem Rücken an die Wand gedrückt. Sehe rein gar nichts.«
»Hast du das Skalpell noch in der Hand?«
»Negativ. Muß mir aus der Hand gefallen sein. Hat eh nicht viel getaugt. Dieses Zeug ist zäh wie Juchtenleder.«
»Du sagst, die Matte hätte sich bewegt. Ist sie auf dich gefallen?«
»Negativ. Sie ist herumgeschwungen.« Dann kam ihr ein Gedanke. »Sie muß oben aufgehängt sein. Erkennst du die Aufhängung?«
Es trat eine kurze Pause ein. »Sie hängt direkt unter mir. Sieht aus wie ein drehbar gelagerter Ast. Der Ast ragt aus einer dicken, holzartigen Struktur an der Wand.«
Sie stemmte sich gegen die Matte, jedoch ohne Erfolg. »Versuch sie dazu zu bewegen, daß sie wieder hochschwingt. Ich stecke hier fest.
Und ich will nicht riskieren, daß der Windenmotor durchbrennt.«
»Was schlägst du vor?«
»Tritt dagegen!«
Sie hörte seinen Atem im Lautsprecher. Das war irgendwie beruhigend. Er war nur einen Meter von ihr entfernt, doch sie sah nichts außer dem scheckigen Muster der Matte.
»Tut sich was?«
»Negativ. Was hast du denn gemacht?«
»Hab ihr ein paar Tritte mit dem Stiefel versetzt. Scheint aber nichts gebracht zu haben.«
»Auf jeden Fall muß ich sie irgendwie dazu veranlaßt haben, sich zu bewegen.«
»Wie sollten Pflanzen sich denn bewegen? Wo sie weder Muskeln noch ein Nervensystem haben.«
»Weiß nicht, ob das überhaupt eine Pflanze ist. Es gibt aber auch auf der Erde Pflanzen, die sich bewegen. Viele richten sich nach der Sonne aus, und manche rollen als Reaktion auf einen Reiz sofort die Blätter ein.«
»Ach ja, daran erinnere ich mich – fühlende Pflanzen in der Botanik-Vorlesung.«
»Aber die Sache hat einen Haken. Sie müssen die Blätter auch wieder öffnen, und das dauert unter Umständen ein paar Tage.«
»Endlich mal was Erfreuliches.« Dann schwiegen beide für eine Weile. »Hör mal, auf der Matte bildet sich wieder so ein brauner Fleck. Das muß an der Abluft aus deinem Anzug liegen.«
Der Gedanke kam ihnen gleichzeitig.
»He, man könnte doch …«
»Genau, ich werde der Matte eine Ladung Sauerstoff verpassen.«
»Marc? Gib ihr nur eine Prise Sauerstoff. Sie soll sich bloß bewegen. Wir wollen sie doch nicht umbringen.«
»Richtig.«
Die Sekunden tröpfelten dahin. »In Ordnung, ich bin in Position«, vernahm sie dann. »Achtung. Sie bekommt eine Ein-Sekunden-Dosis.«
Die Matte, die sich an sie gepreßt hatte, schauderte.
»Sie hat nur gezuckt.«
»Ich habe sie auch nur gestreichelt. Ich werde noch ein paar kurze Stöße hinterherschicken.«
Und plötzlich spürte sie ein Gefühl der Leichtigkeit. Die Matte schwang rasant zurück. Der Helm war total verschmiert.
»Hoch mit dir, Julia! Schnell!« rief Marc.
»Ich sehe nichts mehr. Das Visier ist verschmiert.« Sie zog am Seil, um sich zu vergewissern, daß es sich nicht verheddert hatte. Dann betätigte sie die Fernsteuerung der Winde und ließ sich hochziehen.
»Du mußt mich lotsen!«
»Weiter! Du kommst parallel zur Matte hoch. Gut! Immer weiter.
In Ordnung, du bist nun auf gleicher Höhe mit der Aufhängung.
Gleich hast du es geschafft … Ja! Du bist frei!«
Sie setzte den Aufstieg noch für ein paar Sekunden lang fort und hielt dann an. Der Schweiß lief ihr in Strömen vom Gesicht, und die Anzugslüfter summten angestrengt. »Der Mars ist wirklich ein heißes Pflaster. Ich bin bestimmt die erste, die hier ins Schwitzen gekommen ist.« Sie war überdreht und erschöpft zugleich.
»Wir haben noch einen Kilometer vor uns.«
»Ich weiß. Ich bin in Ordnung. Muß nur noch das Visier
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