Das Rennen zum Mars
Raoul zugestehen, daß er im Prinzip recht hatte. Der Mars hatte üble Tricks auf Lager. Und ein paar hatte er ihnen schon gezeigt: von den lästigen Peroxiden, die sich überall festsetzten – selbst in der Unterwäsche! –, bis hin zu den Dichtungen der chemischen Anlage, die auf mysteriöse Art und Weise allmählich zerfressen wurden; wahrscheinlich handelte es sich um ein Zusammenwirken des Peroxidstaubs und der extremen Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht.
»Die Fernaufklärung hat aber gezeigt«, sagte sie vorsichtig, »daß vulkanische Erscheinungen eher selten vorkommen. Ein paarmal pro Jahr.«
»Das waren die starken Ausgasungen?«
»Ja, schon. Trotzdem hatten sie eine relativ geringe Dichte. Sie sind nicht mit einem Vulkanausbruch auf der Erde zu vergleichen.«
»Wäre es möglich, daß sie trotz der niedrigen Dichte heiß sind?«
»Ja, ich glaube schon …«
»Zum einen sind sie heiß, und zum anderen enthalten sie etwas, das die Anzugsdichtungen angreift. Die Druckanzüge sind schlecht isoliert. Ich glaube, da sind wir alle einer Meinung.«
Die anderen nickten zustimmend. Was ihnen auf dem Mars das Leben schwermachte, waren nämlich nicht die Peroxide, sondern die alles durchdringende Kälte.
Raoul verfolgte die Taktik, erst die technischen Details abzuhandeln und dann zu einer Schlußfolgerung zu springen. Doch manövrierte sie ihn aus, indem sie gar nicht erst auf das Problem der Isolierung einging, sondern gleich zum Punkt kam. »Die vulkanischen Erscheinungen müssen der Schlüssel zur Biologie sein. Wir dürfen uns jetzt nicht einfach davonmachen.«
»Das ist das Stichwort. Wir sollten uns davonmachen – solange wir dazu noch in der Lage sind. Bisher hatten wir Glück und uns nur leichte Verletzungen wie Erfrierungen, Quetschungen und Verstauchungen zugezogen. Es hätte viel schlimmer kommen können.
Wir haben unsre Schuldigkeit gegenüber der Biologie getan«, sagte Raoul nachdrücklich.
»Schaut …«
»Nein.« Er schnitt ihr mit einer Handbewegung, die einem Karateschlag glich, das Wort ab. Er hatte eine kräftige Mechanikerhand mit Dreck unter den Fingernägeln. »Unser Auftrag lautet, das ERV flottzumachen.«
Dem vermochte niemand zu widersprechen. Der Rückflug hatte Priorität. Rauls angespannte Kiefermuskulatur sagte ihr, daß der Traum geplatzt war.
* * *
Danach arbeitete Julia allein weiter. Das Bedürfnis, sich von den anderen abzusondern, machte sich fast körperlich bemerkbar.
Nachdem sie mit ihrem Anliegen abgeblitzt war, hatte sie ihren Kameraden nichts mehr zu sagen. Nach Feierabend ging sie auf direktem Weg ins Habitat zurück. Sie durchlief den Schleusenzyklus, dekontaminierte den Anzug, zog den Helm und den Thermoüberzug aus und ging dann aufs Flugdeck. Sie drehte die Heizung auf, machte es sich im ergonomischen Sessel bequem und rief die aktuellen E-Mails von Robbie und Harry auf dem Monitor der Kommunikationsanlage auf. Vielleicht würde die Lektüre der Mitteilungen sie auf andere Gedanken bringen.
Sie hatten einen Artikel der New York Times über die aktuellen Possen der Umweltschutzpartei PEPA und einer neuen Gruppe, den Mars Zuerst -Aktivisten mitgeschickt.
Die PEPA ging der NASA seit Jahren mit ihren Unkenrufen auf die Nerven, daß in Mars- oder auch nur in Mondgestein, das Raumfahrer zur Erde mitbrachten, das Grauen aus dem All lauerte.
Das Fazit eines Berichts des Nationalen Forschungsrats aus dem Jahr 1997 lautete: ›Während die Wahrscheinlichkeit des Einschleppens einer replizierenden biologischen Entität in einer Probe vom Mars als gering und das Risiko pathogener und ökologischer Auswirkungen als noch geringer erachtet wird, besteht indes ein Restrisiko‹. Das genügte der PEPA schon. Hörten sie ›Restrisiko‹, war die Kalamität für sie bereits eingetreten.
Nachdem die PEPA die NASA verklagt hatte, erklärte die Weltraumbehörde sich bereit, für den Umgang mit Proben von anderen Planeten – Lagerung, Sterilisierung und Entsorgung – schärfste Sicherheitsbestimmungen zu erlassen. Robbie bezeichnete die PEPA als Andromeda-Bazillen-Partei .
Nach dem mißglückten Start hatte die PEPA nach neuen Opfern Ausschau gehalten. Wo der Intimfeind, die NASA, nun aus dem Spiel war, hatte die PEPA ihr ganzes Rudel von Winkeladvokaten auf Axelrod gehetzt. Ihr Eröffnungszug bestand in der Behauptung, eine bemannte Mission zum Mars würde einen Verstoß gegen das Abkommen zur Nutzung des Weltraums von 1967 darstellen.
»Was, zum Teufel,
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