Das Rennen zum Mars
davon.
Kapitel 16
17. Januar 2018
Sie ging ein kalkuliertes Risiko ein, als sie an jenem Abend den ersten Tag auf dem Mars zur Sprache brachte.
Sie alle waren müde und übellaunig. Am Mars hatten sie sich die Hörner abgestoßen. Als sie die müden Gestalten sah, die in den langen Schatten des Sonnenuntergangs mit dem Rover vom ERV zurückkamen, kehrte die Erinnerung klar und deutlich zurück.
Zum Teil lag es am Kontrast. Nach der Landung hatten sie das Marslandungs-Habitatmodul – das ›Hab‹ – verlassen. Die vier waren aufs Stichwort gleichzeitig von den Landetellern heruntergetreten, so daß es keinen ›Ersten‹ auf dem Mars gab. Das hatten sie so ausgemacht, und Axelrod hatte sich damit einverstanden erklärt.
Vor ihnen lag sandiges Terrain, das von radialen Furchen durchzogen wurde, welche die Triebwerksabgase bei der Landung in den Boden gefräst hatten. Ein paar Kilometer entfernt stiegen die hügeligen Wände des Thera-Kraters empor. Der zerklüftete dunkelrote Krater war ein ›kleiner Bruder‹ des Gusev-Kraters. Die Wälle jenes hundertfünfzig Kilometer entfernten Kraters ragten einen Kilometer in die Höhe und reflektierten die schräg einfallenden Strahlen der Morgensonne wie ein riesiger Spiegel.
Das ist noch schöner, als ich zu hoffen gewagt hatte , sagte sie sich.
Sie hatte den Eindruck, daß die anderen ähnlich fühlten, doch sie enthielten sich bewußt jeden Kommentars. Diesen Aspekt hatten sie endlos diskutiert. Vor den Kameras des Habitats und den Filmkameras, die sie in der Hand hielten, machte jeder von ihnen eine Geste. Niemand wußte, was die anderen tun würden. Der Großteil der Menschheit würde zur selben Zeit erfahren, wofür sie sich entschieden hatten – das heißt, nach der Laufzeit der Übertragung.
Jeder hatte sich etwas Besonderes einfallen lassen.
Viktor hatte die Flagge des Konsortiums gehißt. »Aber für die ganze Welt. Der Mars gehört nicht nur einem Land. Er gehört uns allen.«
Marc indes hatte zunächst nicht gewußt, was er tun sollte. Schließlich siegte die Neugier des Geologen, und er drehte einen Stein um.
»Das ist Eruptivgestein, weist aber deutliche Spuren von Wassererosion auf. Es fängt ja schon gut an!«
Julia suchte unter Marcs Stein nach Anzeichen von Leben. Natürlich war sie nicht fündig geworden, doch war es schon ein erhebendes Gefühl gewesen, überhaupt eine Probe in der Hand zu haben.
Raoul hatte sich gebückt und einen Strich in einen Felsvorsprung gekratzt.
»Ziehst du etwa eine Demarkationslinie?«, fragte Julia und lachte.
»Der Planet wird aufgeteilt? Wir bekommen die eine Hälfte, und Airbus bekommt die andere – falls sie je hier ankommen?«
Raoul lächelte. »Nee, das ist eine Eins. Ein Tag. Und 570 haben wir noch vor uns.«
Indem sie an jenem Abend Erinnerungen heraufbeschwor, wollte sie die anderen zum Nachdenken darüber anregen, was sie schon gemeinsam durchgestanden hatten. Sie erinnerte sie daran, wie sie die Geburt von Katherines Baby gefeiert hatten, zwei Monate nachdem Raoul in heroischem Einsatz das Leck im Wassermantel abgedichtet hatte. Sie zog alle gruppendynamischen Register.
Als sie Erikas Antwort erhielt und auf dem Palmtop abspielte, stellte sie mit Genugtuung fest, daß die Psychologin ihr sinngemäß den gleichen Ratschlag erteilte. ›Sie müssen dahingehend auf die anderen einwirken, daß sie sich fragen, weshalb sie überhaupt hier sind‹, hatte Erika mit ihrer warmen, ruhigen Stimme gesagt. ›Lassen Sie die gemeinsame Vergangenheit für sich arbeiten. Setzen Sie sie nicht unter Druck‹.
Julia vermochte sich nicht zu erinnern, daß Erika bisher so deutliche Worte gesprochen hatte. Ob der kleine Kreis aus Beratern und Psychologen auch eine Agenda hatte? Aber egal; wenn sie alle am selben Strang zogen, war es um so besser.
Sie stellte sich an jenem Abend selbst in die Küche und zauberte ein Boeuf Stroganoff mit Sauce Hollandaise und gefriergetrockneten Pilzen. Es war lukullisch, und dazu tranken sie die letzte Flasche Rotwein. Raoul schlief noch am Tisch ein.
* * *
Noch ein paar Wochen bis zum hundertprozentig perfekten minimalenergetischen Orbit für die Erde.
Folgende Botschaft kam von der Erde: Kein Kontakt mit Airbus, auch keine aktuellen Koordinaten durchgeben. Die an der Operation beteiligten Deutschen teilten ihnen immerhin mit, ihr Team sei imstande, den Werkzeugkasten runterzuschicken, den Axelrod für teures Geld erstanden hatte. Von einem Hitzeschild geschützt, würde er in
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