Das Rennen zum Mars
mußte er wieder einschmelzen, gießen und auf der Drehbank beziehungsweise der Warmpreßmaschine bearbeiten. Bei diesen Werkzeugen, die er von der Erde angefordert hatte, handelte es sich um Wunderwerke der Technik: sie waren miniaturisiert und in Leichtbauweise ausgeführt.
Sein Sachverstand war ein Segen für die Besatzung. Ohne diese leichten Präzisionswerkzeuge wären sie vom ersten Tag an aufgeschmissen und nicht einmal imstande gewesen, die Reparatur der Schäden in Angriff zu nehmen, die das ERV bei der Landung erlitten hatte. Doch beklagte Raoul, wenn er müde von des Tages Mühen war, sich darüber, wie wenig er wieder geleistet hätte. Jeden Abend fand er eine neue Variation des Themas ›Hätte ich doch nur
…‹ Also unterstützte Julia ihn -und Viktor, der sich wegen des geschwollenen Knöchels als Feinmechaniker in der ERV-Werkstatt betätigte – nach besten Kräften. Doch sie war eben keine Maschinistin.
Nach ein paar Fehlern legte Raoul ihnen nahe, sich vom ERV-Laderaum fernzuhalten, in dem er arbeitete.
Der Standortwechsel zwischen ERV, Habitat und Rover war jedesmal mit einem solchen Aufwand verbunden, daß sie die ›Schleusendurchgänge‹ (ein NASA-Terminus) auf ein Minimum beschränkten.
Und doch schleppten sie immer wieder roten Feinstaub ins ERV ein – trotz des ›Doppeldusch‹-Systems, das den Staub abspülen sollte.
Also war sie schon am Vormittag arbeitslos. Sie verstieß gegen die Bestimmungen des Missions-Protokolls, indem sie nur mit einem Hautanzug bekleidet als Melder für Raoul und Viktor einsprang.
Den plumpen Druckpanzer, den sie hätte anlegen sollen, verschmähte sie. Die Hautanzüge waren hochelastische Kleidungsstücke, die den Träger unter einem Druck isolierten, der für normale Bewegungsabläufe genügte und die ohne die Druckgelenke und komplizierte Hydraulik der Raumanzüge auskamen. Obwohl der Hautanzug mit einem Akku und einer Elektroheizung ausgestattet war, mußte sie noch eine Thermojacke und -hose überziehen. Sie kam sich vor wie ein Eskimo, doch war sie immer noch beweglicher als in der schwerfälligen Montur.
Zumal bisher niemand den Zyklus in einer ›Ritterrüstung‹ bewältigt hatte. Sie erledigte die Kurierfahrten mit einem Dreirad. Im Hautanzug fielen die Bewegungsabläufe ihr leicht, und sie genoß das beinahe nostalgische Gefühl.
Radfahren auf dem Mars! Trotz der drei Ballonreifen, mit denen sie über den Sand rollte, war es zumindest ein Gefühl wie Radfahren.
In der Kindheit war sie auf der Straße und im Gelände gefahren und hatte viel Spaß dabei gehabt. Unwillkürlich schweiften die Gedanken ein halbes Jahr in die Zukunft: dann würde sie mit ihren Eltern an den Strand fahren, eine warme Brise würde ihr das Haar zerzausen, sie würde mit Viktor schäkern …
Vielleicht , rief sie sich zur Ordnung.
Nach zwei Jahren war die Besatzung ein eingespieltes Team, dessen Mitglieder sich ohne Worte verständigten. Die konsequente Teamarbeit trug Früchte: für die Vorbereitung des nächsten Triebwerkstests blieb ihnen mehr Zeit als ursprünglich geplant.
Dennoch wollte sie sich ihre Idee nicht aus dem Kopf schlagen. In der vergangenen Nacht hatte sie neben Viktor gelegen und den Gedanken freien Lauf gelassen. Genauer gesagt, sie hatte die Gedanken ziellos schweifen lassen, weil sie kein konkretes Ziel vor Augen hatte.
Sie brauchte ein gutes, gehaltvolles Gespräch, spürte aber, daß Viktor mit seinen Gedanken ganz woanders war. Nun war es Zeit für eine Sitzung mit Erika, ihrer psychologischen Mentorin. Sie wollte sich gerade eine Gesprächsstrategie zurechtlegen, als Marc erschien und ihr eine neue Aufgabe übertrug.
In ihrer Eigenschaft als Biologin war sie für die Lebenserhaltungssysteme des Habitats verantwortlich. Die Luftreiniger mußten regelmäßig eingestellt und die Filtereinsätze erneuert werden. Außerdem oblag ihr die ›Haushaltsführung‹. Sie führten einen ständigen Kampf gegen den allgegenwärtigen Staub. Die Kombination aus Anzugsdusche und Körperdusche wandelte die virulenten Peroxide der staubigen Oberfläche in Sauerstoff – ein nützliches Nebenprodukt – und wäßrigen Boden für das Gewächshaus um. Die Toilette, die sie benutzten, hatte einen Abscheider für feste und flüssige Fäkalien, wobei der Urin wiederaufbereitet wurde.
Was den Bio-Ingenieuren bisher noch nicht gelungen war, war die Umwandlung der Feststoffe in nützliche, wenn schon nicht ekelerregende Produkte. Die nächste Expedition sollte
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