Das Riff der roten Haie
– und du, du bist wieder einmal darauf reingefallen …
***
Vier Tage nach dem Abenteuer in der Bucht stand Ron an Bord der ›Ecole II‹. ›Freddy‹, Gilberts alter Cunning-Diesel war startklar. Ron beugte sich über die Luke. Dort unten, wo Gilbert gemütlich vor sich hinpfeifend den Motor zu starten versuchte, war es für seine Armschiene zu eng, aber Gilbert hatte ihm den Trick mit der Glimmschnur gezeigt, die man durch das Zündloch einführen mußte, um das Dieselgemisch zu zünden, und das interessierte ihn nun doch. Steinzeit-Technik? Vielleicht … Aber imponierend. Nur: Ob sie funktionieren würde, da hatte er seine Zweifel.
Ja. – Ein erster Knall. Nun wieder eine ganze Kette kleiner Explosionen. Das Auspuffrohr spuckte Rauch, die beiden Zylinder hatten es sich überlegt, gleichmäßig und zufrieden tuckerte der alte Diesel vor sich hin.
Als Gilberts Kopf auftauchte, klebten an den Brillengläsern Ölspritzer. Er lachte zufrieden, nahm die Brille ab und putzte sie. »Na, was sagst du?«
»Was gibt's da zu sagen? Ein echter copain. Ein Champion, dein ›Freddy‹.«
Die neue Fracht war bereits verstaut, all die herrlichen Dinge, die ›Schibe‹ für seine Ware auf der Insel eingetauscht hatte: Holzplastiken, Kriegskeulen, Matten, Bastteppiche, Muschelketten … In den drei Jahren, in denen er von der Insel weggeblieben war, hatte sich ein wahrer Schatz für ihn angehäuft. Paul Sia, der Manager der ›Tonga Handicraft-Cooperation‹ in Neiafu, würde Bauklötze staunen.
»Ein Jammer, daß du abhaust«, sagte Ron. »Wieso bleibst du nicht hier?«
»Um zu sehen, was du mit deinem Käfig anstellst?«
»Warum nicht?«
»Ach, Ron!« Gilbert Descartes seufzte. »Ich mag dich. Das weißt du. Und deshalb verzichte ich lieber.« Sein Gesicht wurde ernst: »Ich kann nur hoffen, du weißt, was du tust.«
»Ich glaube schon, Kumpel.« – Aber unter dem Blick von Descartes wurden die Zweifel wieder wach.
Gilbert Descartes fuhr am nächsten Morgen. Die Kanus begleiteten ihn durch die Lagune weit, weit hinaus ins Meer …
Durch den Palmenwald ging Ron vom Strand zurück ins Dorf. Hier lag noch immer der vom Wind zur Erde gedrückte Stamm, hinter dem er damals mit Gilbert und Tama Schutz gesucht hatte. An manchen Stämmen glaubte er die hellen Verletzungen von Kugeleinschlägen zu erkennen.
Als er den Dorfplatz erreichte, traf er Hendrik Merz. In der rechten Hand trug er den Arztkoffer. Er kam von seinem Patientenbesuch zurück. Nun blieb er stehen: »Ist Gilbert weg? Ich wollte auch zur Lagune, aber ich hatte zu tun.«
»Ja. Und er läßt dich nochmals grüßen. – Und wie sieht's bei dir aus, Hendrik?«
Die dunklen Augen des jungen Arztes lächelten: »Ich habe nur so gestaunt. Medizinisch gesehen sind diese Leute ein Phänomen. Jetzt, wo die alte Dame ihre Antibiotika kriegt und ich die Wunden einigermaßen sauberbekommen habe, kannst du zusehen, wie das zusammenwächst.«
»Gesundes Insulaner-Blut, Hendrik. Schon die Vorfahren haben es verbessert, indem sie andere Leute fraßen.«
»Und du?« Merz blickte auf den bandagierten Arm. »Auch gesundes Insulaner-Blut? – Komm. Ich wollte mir deinen Arm sowieso ansehen.«
»Nett von dir. Aber eigentlich geht alles prima.«
Es sollte heiter und beiläufig klingen und war eine Lüge. Anstelle dieses ekelhaften Gefühls, der Arm würde anschwellen, bis er die Verbände zerriß, war ein leises, ewig schmerzendes, fließendes Ziehen getreten. Nicht angenehm, gar nicht, aber es ließ sich ertragen.
»So? Meinst du?« Hendrik warf ihm einen skeptischen Blick zu. »Ich bin da anderer Ansicht, wenn du nichts dagegen hast.«
Ron hatte etwas dagegen. Nichts durfte den Ablauf des Programms verzögern. Am wenigsten der Arm. Am Arbeitsplatz vor der Werkstatt stand der Käfig in seiner vollen Größe. Er war, wie immer, umlagert von einer Schar von Kindern und neugierigen Halbwüchsigen. Mit Ausnahme des Drehgelenks für die Öse, die den Haken aufnehmen würde, war alles fertig montiert. Der Käfig war zwei Meter fünfundzwanzig hoch, die Grundfläche bildete ein Quadrat von je zwei Meter dreißig Seitenlänge. Um die Austernernte zu erleichtern, besaß er keinen Boden. Unten war die Konstruktion bis auf vier je acht Zentimeter breite Eisenbänder, die als Trittleisten dienen sollten, offengeblieben.
Afa'Tolou war gerade dabei, eines dieser Bänder festzuschweißen.
Er schien Schwierigkeiten zu haben. Hendrik hatte es als erster erkannt.
»So geht das
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