Das Riff der roten Haie
empfangen. Das war der Nachteil des Konzepts. Nun, sollte irgendwas passieren, würden sie den Käfig hochholen. Aber – was sollte schon passieren …?
Den Bildschirm hatte er eingeschaltet – er blieb grau. Im Kopfhörer war noch immer das feine, gleichförmige Knistern.
Ron spürte, wie ihm der Schweiß den Rücken hinablief. Er öffnete das Fenster. Wieso meldete sich Hendrik nicht? War was los?
Und jetzt – ja, da war er!
»He, ihr dort oben …« Die Worte kamen verzerrt, aber was zählte das, man konnte sie verstehen. Darauf allein kam es an.
Wann endlich schaltete er die Kamera ein?
Herrgott, was wäre er jetzt gerne mit Hendrik zusammen dort unten gewesen!
Ja, da war er! Vielleicht gibt es wirklich so etwas wie Gedankenübertragung? Der Schirm wurde lebendig. Ein Bild sprang auf: Rotalgen wiegten sich in der Strömung, daneben schoben Korallenstücke wie riesige Pilze ihre hellen Häupter ins Blau. Und nun – ein Schwarm hochrückiger Kaiserfische, Paar um Paar schwammen sie vorüber. Dort hinten – ja, das war ein Barrakuda! Wie immer, wenn er auf Beute lauerte, hing er bewegungslos im Wasser. Geduld ist die erste Tugend des Räubers.
Der Scheinwerfer von Hendriks Kamera wanderte weiter, ließ eine große Pferdehuf-Muschel aufleuchten, tastete über die runden Formen von Walzenschnecken, verfing sich in einem neuen Fischschwarm …
»Na, was sagst du nun, Boß?«
Verdammt, was schon! – Rons Herz schlug schnell und befreit. Bald würden sie in der Bucht sein. Bald würden die silbernen Ränder der Perlaustern auftauchen. Bald? – Heute noch …
»Keine Haie?« fragte Tápana. Die dunklen, rotunterlaufenen Augen schienen zu glühen.
»Nein, Tápana. Aber was können sie uns schon anhaben? – Nichts.«
Doch der alte Häuptling wiegte nur den Kopf.
***
Es waren fünf. Hendrik Merz hatte sie gezählt. Sie waren etwa faustgroß, olivbraun und sehr schwer. In die Eisenummantelung waren kleine quadratische Bruchstellen eingestanzt. Bei einer Detonation würde sich eine solche Eierhandgranate in viele tödliche kleine Geschosse verwandeln.
Ron hatte die Handgranaten in einen Korb gelegt, den er beim Fischen für die Beutewürmer benutzte. Und dieser Korb stand nun griffbereit.
»Wo hast du denn die her, Ron …«
»Die? Das sind Souvenirs. Die haben die Dreckschweine mitgebracht, die uns überfallen haben. Schmeißen konnten sie sie nicht mehr. Das haben wir ihnen gerade noch versalzen.«
Sie standen neben dem Käfig.
Es war jetzt vierzehn Uhr dreißig, aber die Brise brachte Kühlung. Und vor ihnen ragte dunkel die Wand auf und warf ihren Schatten über das Deck. Sie hatten sich mit langsam laufendem Motor in die Bucht hineingeschlichen, den Anker geworfen und den zweiten Hilfsanker ausgelegt, um das Schiff möglichst exakt über der Austernbank zu halten. Hendrik und Afa'Tolou waren bereit, in den Käfig zu steigen.
Tama stand an der Steuerbordseite, weit nach vorne gelehnt, und ließ den Blick über das Wasser der Bucht wandern. Nun nahm sie das Fernglas.
Hendrik wußte keinen vernünftigen Grund für seine Erleichterung, aber irgendwie war er froh, daß Lanei'ta heute zu Hause geblieben war. Dabei hatte sie unbedingt bei diesem ersten Tauchversuch in der Bucht dabeisein wollen, aber nach dem Essen begannen bei Jacky wieder einmal die Zahnprobleme, und er fing fürchterlich an zu brüllen. So blieb sie bei ihm. Es war wirklich besser. Er brauchte ihr vorwurfsvolles Kopfschütteln nicht zu ertragen. Den Schock, den sie das letzte Mal gleich dort drüben am Ufer erlebt hatte, als der Hai hinter ihnen herschoß, hatte sie noch nicht überwunden.
Nun gab es den Käfig. Mal sehen, was der bringen würde …
Afa setzte die Maske auf. Ein feiner Schweißfilm lag auf der braunen Haut, und das Licht zeichnete jede Linie der kräftigen Muskeln nach. Ein Schrank von Mann war Afa, dreißig Jahre alt, seinen jungen Bruder, der gerade die Traggurte überprüfte, überragte er um einen halben Kopf. Afa hatte dasselbe schmalgeschnittene, überraschend zarte Gesicht wie Wa'tau. Mit ihm kommst du zurecht – Hendrik Merz ahnte es vom ersten Augenblick an. Und seit sie zusammen den Käfig verschweißt hatten, war es sowieso klar.
Nur Ron gefiel ihm heute nicht. Er wußte nicht so recht, an was das lag. Irgend etwas hatte sich an ihm verändert. Die Tonlage seiner Stimme war anders geworden, die Worte kamen hektisch, die Sätze brachen abrupt ab. Er war nervös, lief dauernd hin und her. Nun, das
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