Das Riff der roten Haie
Wieder wurde er sich seiner Ohnmacht bewußt.
Tama warf ihm einen Blick zu. »Ovaku«, sagte sie, »er sieht sie doch! – Er filmt sie ja!«
»Laß sie kommen!«
Hendrik Merz hielt den Daumen auf dem Kameraauslöser. Er spürte eine Hand im Rücken – Afas Hand. Er filmte weiter. Ja, laß sie kommen … Er hatte die Beine breit auf die Eisenbänder der Käfigunterseite gesetzt, so, als müsse er einen unvermeidlich zu erwartenden Stoß abfedern.
Bisher waren es vier gewesen … Dort rechts hing noch ein fünfter!
Na und? – Der fünfte lag weiter zurück, holte aber auf. Von vorne war alles so schwer abzuschätzen. Afa hatte den Sack aufgehängt. Ob es die Austernschlächterei ist, überlegte Hendrik, die sie anzieht? Vielleicht lösen sich aus den Verletzungen, die das Messer den Austern zufügt, wenn sie herausgeschnitten werden, irgendwelche Stoffe, die sie interessant finden – Botenstoffe für Haie …
Verdammt nah sind sie!
Und sie scheinen es wissen zu wollen …
Was soll's? Ein Käfig ist ein Käfig, und dazu, dachte er, von mir eigenhändig verschweißte Wertarbeit. Jawohl! An den Stäben werden sie sich ihre verdammten Zähne ausbeißen, falls sie's versuchen sollten, – Hastig sicherte er die Kamera an ihrer Halterung. Er hatte keine Lust, sie zu verlieren. Er würde sie noch gebrauchen können … Obwohl – was für Bilder das jetzt wären! Sie kamen an! Näher und näher. Verdammt nahe. Und verdammt groß dazu! Riesig!
Wirklich, das hättest du noch filmen müssen, dachte er. So dicht war dir noch nie ein Hai auf die Pelle gerückt, nicht einmal das Miststück damals am Strand. Und das hatte er ja noch nicht einmal gesehen.
Die aber … jede Einzelheit war zu erkennen. Die Rückenflossen, die gewaltigen Seitenflossen … Warum gingen sie nicht weg? Was wollten sie?
Sein Herz pochte am Hals. Das Adrenalin, das durch seine Adern floß, ließ es unbeherrscht loshämmern. Haut ab!
Sie taten es nicht. Er sah Zähne. Er sah geöffnete Rachen. Und dann, endlich, Gott sei Dank, die beiden Haie trennten sich, glitten in engem Bogen rechts und links am Käfig vorüber, so daß er nun deutlich die tiefschwarz glänzenden Flossenenden erkennen konnte. Schwarzflossenhaie … Wo hatte er gelesen, daß es so etwas gibt? Na, jetzt wußte er: Es gibt sie! Greifen Schwarzflossenhaie Menschen an? Die vier hier schienen nicht sehr friedlich gestimmt. Und nun kam der fünfte. Er war nicht schwarz, er war weiß …
Ein Weißer Hai! Der gefährlichste von allen …
Er kam aus der Tiefe. Und er schoß direkt auf den Käfig zu. Der breite Schädel schien das ganze Meer auszufüllen! Und diese Augen – wie schwarze Teller!
Klong! Das Geräusch drang in seinen Schädel. Klong-klong-klong!
Es war Afa'Tolou. Er hielt die Messerklinge in der Hand und schlug wild auf die Eisenstäbe ein.
Das Miststück mit der starren Killervisage konnte er damit nicht beirren.
Will er uns rammen? Was will er? Drei Meter, zwei, einen … Und das Haigesicht, dieses Gesicht, das wie eine Gummimaske ist und aus deren Ausschnitt zwei gierige, sich lebhaft bewegende Augen hervorstarren … Beängstigend!
Im letzten Zeitbruchteil, als der Zusammenstoß unvermeidlich erschien, zeigte der Hai seine breite, helle Unterseite. So dicht strich er über sie hinweg, daß Hendrik den Wasserdruck wie eine Faust im Magen spürte.
Afa drehte sich ihm zu. Die Gläser der Brille. Dahinter Afas Augen. Weit geöffnet waren sie jetzt, das ja, doch Furcht konnte er darin nicht erkennen.
Im selben Sekundenbruchteil änderte sich alles. Der Schock, der aus Afas Augen schrie, erfüllte auch ihn. Eine unbegreifliche Kraft, begleitet von einem hell singenden Donnerschlag, hatte Hendrik gegen die Käfigstäbe geworfen.
Nichts mehr war in Hendrik als Leere und trommelnde Todesangst. Dann ein heftig pochender Schmerz an der Stelle seines Hinterkopfs, die gegen das Eisen geprallt war.
›Die Handleine!‹ dachte er – er brauchte sie nicht zu ziehen, denn der Käfig bewegte sich bereits. Sie wurden hochgezogen. Doch erst als sie die Wasseroberfläche durchbrachen, das Wasser an den Gitterstäben herunterlief und das Licht nach seinen Augen griff und er bereits die Heckaufschrift ›Paradies‹ lesen konnte, durchfuhr es ihn: Es war die Handgranate!
Er hat eine Handgranate geworfen. Er muß irrsinnig sein. Tatsächlich, er hat uns eine Handgranate auf den Schädel geschmissen!
Sie hingen an ihrem Galgen. Und der Käfig drehte und drehte sich. Wa'tau
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