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Das Riff der roten Haie

Das Riff der roten Haie

Titel: Das Riff der roten Haie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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um den Anker zu lösen und den Motor anzuwerfen. Ihre beiden Brüder hatten offensichtlich überhaupt nicht begriffen, was er da sagte. Sie beschäftigten sich weiter mit ihren Muscheln und Perlen. Und lachten … Hendrik ging zur Reling. Die Kette klirrte. Er blickte über die See. Mit der gewaltigen blauen Wasserfläche war etwas geschehen. Sie war jetzt von einem so dunklen, tiefen Kobalt, daß sie beinahe schwarz erschien. Über allem aber lag ein merkwürdiger, wäßriger Glanz, und die klare Linie des Horizonts hatte sich in einen feinen, rauchblauen Schleier aufgelöst. Hinter diesen Schleiern schoben sich schneeweiß und klar, wie aus Papier geschnitten, Kumuluswolken.
    Er nahm sie wahr und beachtete sie doch nicht. Er dachte an Ron. In seinem Zorn erwachte etwas wie Sympathie, ja, Bewunderung. Er dachte: Dieser elende, sture Hund wird es noch soweit bringen, daß er den Arm verliert …
    ***
    Es war Abend. Die Dämmerung hatte noch nicht eingesetzt. Der Bambuszaun um Lanei'tas Garten warf lange Schatten. Drückend war die Luft und still. Lanei'tas Ziege streckte ihren schmalen Hals und musterte Hendrik mit ihren durchsichtigen, hellen, klugen, dunkel umränderten Augen.
    Anderthalb Stunden hatte Hendrik Merz drüben an Rons Bett zugebracht, Antibiotika gespritzt, den Arm noch einmal untersucht, ihm eine neue Schiene verpaßt und versucht, das lastend vorwurfsvolle, bedrückende Schweigen zu ignorieren, das zwischen Ron und Tama herrschte. Nun war er froh, daß es dieses Haus gab, die Ziege, den Kleinen – und Lanei'ta.
    Sie saß an ihrem Arbeitstisch am Eingang. Sie hielt eine Schere in der Hand und schnitt ein Stück Stoff zurecht. Der Kleine kroch am Boden, richtete sich auf, brabbelte zufrieden ›Henni-Henni‹ und blickte an ihm hoch. Hendrik strich über den kleinen, warmen Kopf.
    Lanei'ta ließ ihre Arbeit sinken. »Wie sieht es aus?«
    »Das weiß ich nun mal nicht. Das ist es doch … Man muß abwarten.«
    »Und wie ist es passiert?«
    Er sagte es ihr. Sie nickte, als habe sie nichts anderes erwartet.
    »Er muß lernen, Hendrik. – Wir alle müssen das.« Erst jetzt spürte er, wie müde und zerschlagen er war. Er zog sich einen Hocker heran. Kopf und Rücken schmerzten an der Stelle, die mit dem Käfig zusammengeprallt war.
    Er betrachtete den Teppich, der an der Wand hinter Lanei'ta hing. Er zeigte einen kleinen Vogel, der auf einer stilisierten Blütenstaude saß und fröhlich den Schnabel zum Himmel reckte. So ruhig, so friedlich wirkte alles! Es war, als würde das dünne Flechtwerk der Wände das ganze bedrückende Unbehagen, das er bisher gespürt hatte, von ihm fernhalten.
    »Willst du was zu essen? Hast du Hunger?«
    »Ich weiß nicht …«
    Sie stand auf und brachte am Herd mit einem Fächer die Glutreste zum Brennen.
    Drüben sprang in diesem Augenblick der Generator an. Ein leises Pochen, so, als klopfe jemand an die Tür. Hendrik mußte daran denken, wie Ron sich über Lanei'ta erregt hatte: »Ich weiß manchmal wirklich nicht, was mit ihr los ist. Es ist nicht nur, daß sie sich abkapselt, sie riegelt sich richtiggehend in ihrer Vergangenheit und ihren Träumen von früher ein. Wenn Jack das sehen würde …«
    Jack? – Jack Willmore …
    Unwillkürlich, wie jedesmal, wenn er den Namen dachte, sah er hinüber zu der Ecke, die Ron ›Lanei'tas Reliquienschrein‹ nannte.
    Sie war leer! Selbst den kleinen runden Tisch, der dort stand, hatte sie entfernt.
    Vorsichtig tastete sich sein Blick zu Lanei'ta. Sie war gerade dabei, eine flache Tonschale auf das Feuer zu setzen. Das Feuer, das ihr Gesicht streichelte, dieses Gesicht, das nicht nur Jack geliebt hatte, das auch er …
    Nun beugte sie sich etwas tiefer. Ihr Haar glänzte. Es fiel und teilte sich im Nacken und gab die feine, gebeugte, lange und so unglaublich zarte Linie ihres Nackens frei … Der Reliquienschrein existiert nicht länger! Ja, sie hat Jacks ganzen Kram weggeräumt. Warum? Wacht sie auf?
    Sie kam zurück, nahm Stoff, Schere und Garn von Tisch und stellte einen Teller vor ihn hin.
    Wie passend – in diesem Augenblick knurrte sein Magen. Er fuhr zusammen, Lanei'ta lachte. Sie lachten beide, und der Kleine klopfte die Faust gegen sein Knie und kicherte mit.
    Wieder drehte er den Kopf zur Ecke.
    »Ich habe alles weggetan«, hörte er sie sagen. Sie sprach sehr leise, nahm einen dieser wunderschön geschnitzten Holzlöffel in die Hand und schöpfte ihm den Gemüseeintopf aus Paprika, Tomaten, Zwiebeln und Yam in den

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