Das Riff der roten Haie
hörte ihr Kichern und sah in ihre spöttischen Augen. »Du, Ovaku, komm! Du tauchen lernen …«
»Wo sind die verdammten Austern, Tama, Himmelherrgott noch mal?«
»Nothing«, sagte sie. »You dive. Du tauchen!«
***
Und so ging es weiter. Nicht nur an diesem Tag, das war nur der Anfang – es verfloß eine Woche, dann die zweite, schließlich hatte er den ersten Monat hinter sich und schaffte es noch immer nicht, länger als eine Minute dort unten zu bleiben. Und als sich schließlich dann doch das Volumen seiner Lunge so geweitet hatte, daß er die Minutengrenze überspringen konnte, blieb ihm wieder nur Staunen: Tama tauchte ab, er sah auf die Uhr – hundertfünfzig, hundertfünfundfünfzig, hundertsechzig … Angst kroch in ihm hoch. Das gab es doch nicht, oder vielleicht …
Haie! Hatte sie nicht von Haien gesprochen? »Tama!«, brüllte er, rannte die Steine entlang, suchte verzweifelt nach dem scharfen Keil einer Haiflosse oder nach einem Schatten. – Nichts. Nur das Schreien der Vögel.
Dann ein Plätschern, und da war sie, legte sich auf den Rücken, holte tief Luft, warf sich herum und lachte.
Erbittert und erschöpft ging er in die Hocke. Mußte er sich gegenüber diesem Teufelsweib immer nur als Versager fühlen? Warum eigentlich?
Aber es waren ja nicht allein ihre unglaublichen Tauchleistungen, die ihn in diesen Wochen so sprachlos machten, immer und immer wieder war es die schwerelose Eleganz, mit der sie sich in der Tiefe bewegte: Schwebend, gelassen, mit einer gleichgültigen Sicherheit, ein Körper von atemberaubender Vollkommenheit und total harmonischen Bewegungen glitt vor ihm her, ein Fisch unter Fischen.
Und in welcher Welt sie sich befanden … Bunte Lippfische schossen zwischen den Korallenbäumen hindurch, zupften an den Algen oder Schwämmen. Schmetterlingsfische tauchten aus der dunkelblauen Tiefe, ganze Schwärme orangeroter und brauner Riffischchen trieben vor den Felswänden. Da waren die Papageifische in der ganzen Pracht ihrer Farben, gemütlich nagten sie an den Kugeln der Hirnkorallen – und all dies, Formen, Farben, dieses Leben stets vor dem gleichen Hintergrund eines tiefen, kristallreinen Blaus.
»Wann gehen wir zur Austernbank, Tama?«
»Morgen«, lächelte sie. »Morgen, Ovaku …«
***
Die Perlen verfolgten Ron bis in seine Träume. Es gab keine Gelegenheit, die er ausließ, noch mehr über sie in Erfahrung zu bringen.
Wußten die Menschen im Dorf nichts über ihren wirklichen Wert? Und was war mit dem Händler, was war mit Descartes los? War der Franzose nur besoffen hier herumgestolpert? Descartes mußte doch Bescheid wissen! Hier lag sein Geschäft, ein unglaubliches Geschäft, hier, bei den Perlen!
Was heißt Geschäft – es war die einzigartige Chance, sich ein Riesenvermögen unter den Nagel zu reißen. Und das mit links, ohne jede Anstrengung. Außer der einen: die Leute davon zu überzeugen, ihre Perlen herauszurücken.
Gilbert Descartes' Chance? Auch deine, hatte Ron gedacht. Nur: du arbeitest, riskierst etwas dafür, du tauchst! Ihre Perlen hatten die Inselbewohner Descartes wohl verweigert … Wie sonst würde dies alles einen Sinn ergeben?
Er begann sich vorsichtig zu erkundigen. Tama hatte ihm gesagt, daß sie ihre Ketten von ihrer Mutter erhalten habe. Eine besonders schöne Perle bekam schon der Säugling um den Hals gehängt. War es ein männliches Kind, so sollte die kleine dunkle Kugel ihn ein Leben lang vor bösen Geistern und Feinden schützen, vor dem Fluch der Eifersucht wie vor dem Speer eines Gegners, dem Biß eines Haies oder einer Muräne, dem Stich eines Stachelrochens. Wuchs ein Mädchen heran, so bekam es zum Zeichen des Erwachsenwerdens seine erste Kette. War es dann zur Frau gereift, die zweite, und beim ersten Kind schmückte eine dritte Perlenreihe den Hals. So, nur so konnten die Götter sie schützen!
Ron wurde klar: In der Vorstellung der Menschen hier auf der Insel waren die verdammten Perlen mit einem Tabu belegt. Und wer das Tabu brach, holte sich Krankheit, Tod, Teufel oder noch was Furchtbareres ins Haus.
Er ging zu Mahi, einem der jungen Männer, der im ›Nuku‹, im Stamm von Tonu'Ata, als Bootsbauer besonderes Ansehen genoß. Mahi hatte ihm auch gezeigt, wie man Kanus aushöhlt.
Der kräftige junge Mann saß im Schatten des großen Brotfruchtbaums vor seinem Haus. Er hatte das Wickeltuch um die Hüften und schnitzte an einer Holzschale herum.
»Malo Elelei, Mahi.«
Mahi blickte hoch, lächelte und
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