Das Riff der roten Haie
Schenkeln.
Schön wie eine Göttin! Ron wurde ganz andächtig. Aber wie anders läßt es sich denn ausdrücken? Und verdammt, dachte er, das ist sie ja wohl auch: Eine Göttin – deine Göttin!
»Ovaku!«, rief sie und lachte mit weißen Zähnen. Zwischen Daumen und Zeigefinger hielt sie irgend etwas. Es war zu klein, als daß er es hätte erkennen können.
Aber als er ihr nun durch das seichte Wasser entgegenwatete, erkannte er: Sie hielt eine winzige, schimmernd schwarze Kugel in Händen!
***
Sie stand so dicht vor ihm, daß er ihren Atem spürte und ihre aufgerichteten Brustwarzen ihn beinahe berührten. In den dunklen, mandelförmigen Augen spielten kleine Flämmchen.
»Look! Sieh doch … Gut, was?«
Er begriff. Eine Perle.
Das ja, doch nicht irgendeine. Ein Perlwunder war es, das sie ihm unter die Augen hielt, ein vollkommenes Rund, von dem ein Stahlglanz ausging, ein grünschimmerndes Schwarz, und es war die größte Perle, die er je zu Gesicht bekommen hatte.
»Good, Ovaku, really good.«
Als ob ein ›wirklich gut‹ etwas Derartiges beschreiben könnte!
»Nimm!«
Instinktiv hatte er die Hand hochgehoben und geöffnet. Sie ließ die Perle hineinfallen. Er spürte ihre kühle, harte Rundung, und da war irgend etwas, das von dieser Berührung ausging und in sein Blut einfloß und sein Herz heftig schlagen ließ.
»Das gibt's doch gar nicht.« Er flüsterte es auf deutsch.
»Was sagst du?«
»Wie kann eine Perle so groß werden?«
Alles, was er über Perlen wußte, fiel ihm ein. Dieses geheimnisvolle schwarzgrüne Schimmern – wie wird es noch genannt? Ja – ›Fly-Wing – Fliegenflügel‹. Als Färbung stand es an erster Stelle der Rangfolge. Dazu die Größe! …
Er hatte solche Fly-Wing-Perlen gesehen. Schon auf Samoa. Dann auf Tahiti. In den Luxus-Boutiquen der Hotels von Papeete, bei den Juwelieren der Rue General de Gaulle, auch in den Touristen-Shops von Bora-Bora, zuletzt noch im Dateline-Hotel von Tongatapu. Ihr Aussehen war so verschieden wie die Farbschattierungen: Perfekt rund konnten sie sein, aber auch halbkugelförmig, es gab birnen- oder tropfenförmige Perlen und solche mit kleinen Unebenheiten und Ringen. All diese Perlen hatten eines gemeinsam – es waren Zuchtperlen.
Diese jedoch …
Ron war überwältigt von Bewunderung.
»Groß, nicht?« fragte Tama und wrang sich das Wasser aus den Haaren.
Groß? Überwältigend! Unglaublich! – Und dann überlegte er: Wurden nicht schon die Zuchtperlen der normalen Größe bereits mit Preisen zwischen tausend und fünfzehnhundert Dollar gehandelt? Ein derartiges Wunder aber – sechzehn, wenn nicht achtzehn Millimeter, schätzte Ron … Unvorstellbar schon, wie es heranreifte, wie sich im Dunkel der Austernschale über Jahre, vielleicht Jahrzehnte eine Schicht über die andere legte.
»Hast du die Auster schon unten an der Bank aufgemacht?«
»Ja. Weiß nicht, warum. Manche Muscheln haben Zauber. Da habe ich einfach Messer genommen. Und da war sie.«
Manche Muscheln haben Zauber?
Du hast ihn, Mädchen!
Zwanzigtausend Dollar – dachte er. Vielleicht dreißigtausend. Wer, zum Teufel, kann das schon sagen? Gefangen in dem absurden Spiel mit imaginären Dollarzahlen stolperte Ron über einen Stein und schlug der Länge nach hin, und nun tat nicht allein die Hand weh, nun schmerzten auch noch Knie und Ellenbogen.
Aber die Faust hielt er fest um die Perle geschlossen. Und Tama hatte wieder was zu lachen …
Sie schüttete den Inhalt ihres Beutels zu den anderen Muscheln und machte sich an die Zubereitung des Essens: Kaltes Huhn, Kokoscreme, Maniok, Papaya, Ananasscheiben … Sie kauten stumm und mit Appetit.
Auch Ron war hungrig, aber er wußte nicht, was er aß. Immer wieder blickte er zu der Perle hinüber. Tama hatte sie auf ein Papayablatt gelegt. Er sah ihre Schultern, den langen Hals, ihr zartes Profil mit den üppigen Lippen, die Brüste mit ihren dunkel aufgerichteten Spitzen – und wieder die Perle und wußte nicht, was er schöner finden sollte.
***
An diesem Tag hatten sie mehr als siebenhundert Austern aus der Bank geholt. Und es war ein elend mühsames und langwieriges Geschäft, sie zu öffnen. Manche waren unbrauchbar gewesen, zu klein, andere hatten Mißbildungen.
Vielleicht war es die achtzigste, vielleicht die neunzigste Schale, die seine Messerspitze aufbrach – dann aber, hier, tatsächlich: Eine Perle lag auf ihrem silbernen Bett von Austernfleisch und leuchtete ihm entgegen.
Seine erste, eigene,
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