Das Riff der roten Haie
her, hatte Gilbert Descartes dann doch die Südsee entdeckt und unter all den Tausenden von Inseln, Plätzen und Schönheiten den Ort, der ihm am liebsten blieb: Puerto de Refugio, seinen Heimathafen auf der Vava'U-Insel.
Hier und im Ort Neiafu gab's alles, was der Mensch zum Leben brauchte: Ein Post-Office, in dem man Bücher bestellen konnte, nette Leute, die dich in Frieden ließen und keine dämlichen Fragen stellten, gutbestückte Bars, es gab die Burns-Philp-Niederlassung, die dir alles besorgte, was du für den Handel brauchst, und wenn Burns wieder mal die Preise hochtrieb, konnte man immer noch zur ›Tonga Cooperative Federation‹. Das waren zwar auch Gangster, aber nachdem er einmal so richtig Krach geschlagen hatte, bekam er seine Spezialpreise.
Puerto de Refugio bedeutete nicht umsonst ›Zufluchtshafen‹. Ein spanischer Galeerenkapitän, den es einst auf der Fahrt nach Mexiko von Manila bis hierher abtrieb, hatte den Namen erfunden, und so hieß er heute noch – ein Wunder von Naturbecken, das sich wie ein riesiger, ewig blauglänzender Fjord in die Kreidefelsen der Insel schnitt.
Wer Hunger hatte, war auch nicht verloren, es gab gute ›Guest Houses‹ oder das Restaurant ›La Mer‹, wo man die besten Fische essen konnte, oder den ›Tonga-Beach-Resort‹. Dort servierte Günter, ein Österreicher, einen traumhaften Apfelstrudel.
Sogar ein Kino hatten sie, und das auch noch direkt am Strand. Wenn einer der alten französischen Cinéastenstreifen aus den fünfziger und sechziger Jahren gezeigt wurde, war Gilbert Descartes jeden Tag im Vorführraum zu finden. Stumm, mit seinem frommen Kinderlächeln im runden Gesicht, saß er da, putzte manchmal die Brille und sog die Vorstellung gleich zweimal in sich rein …
Jetzt aber mußte er darauf verzichten.
Die ›Ecole‹ wartete. Drei Wochen, vielleicht einen Monat würde er mit der Ware unterwegs sein. Dies war der erste große Trip seit Jahren …
Descartes drehte sich um, rollte ein wenig die Schultern, um die Muskelspannung loszuwerden, betrachtete liebevoll Pier, Bucht, Boote, Häuser und den grünen Mount Talau, der das alles überragte, warf einen kurzen, verächtlichen Blick zu dem Warner-Pazifik-Frachter, der weiter unten vor der Hauptmole lag. Das Wetter gefiel ihm nicht besonders. Dieser milchige Dunst, der sich im Nordwesten in Richtung Mangia zu verdichten schien … der taugte nicht! Außerdem war es unerträglich schwül.
Er stapfte los. Noch vor drei Jahren war Gilbert Descartes in Neiafu für seinen sonderbaren Gang so bekannt gewesen wie für den Rundkopf mit der Spiegelglatze oder das mächtige Silberkreuz, das er meist auf der muskulösen Brust trug – ein merkwürdiges, plattfüßiges Watscheln war es, wobei die Zehen nach außen und der Oberkörper wie immer mächtig nach vorne gewölbt war.
Doch dann war dieser verdammte schwarze Freitag vor drei Jahren gekommen. Gilbert war an Bord über eine Bananenschale gerutscht und ins Ladegeschirr gestürzt, hatte sich das linke Knie an einer Kistenecke verletzt, mußte sich anschließend im ›King Taufa'ahau Tupou Hospital‹ in Pangai einer Operation unterziehen und dachte schon daran, die ›Ecole‹ zu verkaufen. Aber das hätte bedeutet, ein Haus zu bauen. Und genau das wollte er nicht … So vertrieb er sich zwei Jahre lang die Zeit, indem er in der Hochsaison den Segellehrer oder Touristenführer spielte, irgendwelche Franzosen, Deutsche, Australier oder Japaner in seinem alten Willys-Jeep hinauf zum Mount Talau brachte, zu den Makave-Quellen, zu den Holonga-Stränden oder der Tuafa-Church-Farm im Westen, wo sie sehen konnten, wie Vanille wächst und geerntet wird …
Seit dem Krankenhausaufenthalt schlingerte Descartes nicht länger, er hinkte. Der junge deutsche Chirurg in Pangai hatte sich zwar alle Mühe gegeben, aber das Hinken würde Descartes sein Leben lang begleiten.
Auf der ›Ecole‹ brauchte er ja nicht viel zu laufen, wenn bloß die Schmerzen nicht wiederkamen … Und was die Leute im Hafen anging, die grinsten nicht länger, wenn er ankam. Ein Mann, der hinkt, hat eine gewisse Würde.
An Olgas langer Bar saß die übliche Crew. Zwei einheimische Lkw-Fahrer von den Zuckerrohr- und Vanille-Farmen, dann Bannister vom Kunstgewerbe-Center, wie üblich das Glas in der Hand und um diese Zeit schon halb besoffen, Morris, der Verkäufer von Burns Philp, und Toni, ein eingeborener Junge, der für Burns Philp mit dem Boot die Küstenauslieferung besorgte, noch keine
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