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Das Riff der roten Haie

Das Riff der roten Haie

Titel: Das Riff der roten Haie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sie ihr Englisch verbessern, und so drehte sie manchmal Stunde um Stunde an ihrem Apparat, um irgendwelche australischen oder neuseeländischen Stationen hereinzuholen, lauschte Vorträgen, deren Inhalt sie wohl kaum verstand. – Tama und Ron hatten sich den Kopf darüber zerbrochen, warum sie das eigentlich tat und waren zu dem Schluß gekommen, daß es die Stimmen waren, die sie an Jack erinnerten oder daß sie sich vielleicht ausmalte, daß diese Stimmen irgend etwas mit Jack zu tun haben mochten …
    Genau das war das Problem: Lanei'tas Fixierung auf den Toten – an alles, was an ihn erinnerte. Jacks Grab in erster Linie, das sie täglich mit neuen Blumen schmückte, aber auch die Dinge, die er hinterlassen hatte, seine vier Bücher, wobei es sich um zwei billige Kriminalromane, um das Bordhandbuch des Puma-Hubschraubers und schließlich um einen Südsee-Roman von James A. Mitchner handelte. Jacks Khakishorts und die Hemden hingen immer frisch gebügelt im Schrank, als müsse er jeden Augenblick zur Tür hereinkommen. Aus dem ausgeglühten Wrack des Puma hatte sie den Steuerknüppel entfernt und damit, zusammen mit anderen Dingen, in der Ecke ihres Fales eine Art Reliquienschrein aufgebaut, der unheimlich genug anzusehen war: Diese dunkle Ecke mit den zerschmolzenen, verbeulten, armseligen Hubschrauber-Bruchstücken, dem silbernen Zigarettenetui, Jacks Sonnenbrille und all den anderen Kram – sie war die unheimliche Zone, in die sich Lanei'ta wieder und wieder und in letzter Zeit immer häufiger zurückzog, so wie ein verletztes Tier in die Höhle, von der es einen letzten Schutz erhofft.
    »Laß sie«, sagte Tama. »Ich werde mir ihr reden. Aber es ist noch nicht die Zeit dazu …«
    Und genauso dachte auch Ron.
    Vielleicht war es wirklich noch nicht die Zeit dazu. Vielleicht aber hielt sie beide nur Feigheit oder Furcht davon ab, etwas zu unternehmen, die Furcht, Lanei'ta mit ungeschickten Worten noch tiefer in die Isolation zu treiben. Mit dem Dorf hatte sie beinahe jeden Kontakt abgebrochen. Und wie immer in derartigen Situationen, nahmen es die Leute dort mit Gelassenheit, mit jenem teilnahmsvollen Gleichmut, der dem anderen sein Schicksal beließ – nicht aus Mangel an Anteilnahme, nein, aus Respekt.
    Auf dem Weg durch den Garten fiel Ron etwas ein.
    Er blieb stehen, dann lief er hinüber zur Werkstatt, öffnete und holte die runde Kugel aus der Schublade, an der er bereits vor drei Monaten zu arbeiten begonnen hatte und die nun schon wieder vierzehn Tage nutzlos und vergessen hier herumlag. Es war eine Kokosnußschale. Er hatte sie geglättet, eine Öffnung eingebohrt und dann im Innern an einer Art kardanischen Aufhängung eine winzige Glocke angebracht, die er unter den Dingen gefunden hatte, die er aus Papeete damals mitgenommen hatte. Die Idee war, daß die Glocke bimmelte, wenn man das Ding rollen ließ. Aber leider tat sie das nur, wenn sie Lust hatte. Trotzdem, was er da in der Hand hielt, war besser als nichts …
    Jacks Sohn Jacky hockte in seinem Holzstall und spielte mit dem halben Dutzend glänzender Tigermuscheln, die er ihm vergangene Woche gebracht hatte. Ron hatte Jacky auch einen ganzen Sack voll Bauklötzchen angefertigt, sie sogar noch bunt angemalt – aber die Muscheln gefielen dem Kleinen wohl besser. Als er Ron sah, klatschte Jacky dreimal in die Hände, rannte an sein Gitter, verzog das Gesicht zu einem glückseligen Strahlen und trompetete: »Waku-Waku-Waku!«
    »Na, du Weltmeister …«
    Er hob ihn raus, und Jacky strampelte nackt und fröhlich in seinen Armen.
    Für seine zweieinhalb Jahre war er überraschend groß und langgliedrig, und das Braun seiner Haut wirkte rötlicher als das der anderen Kinder. Er hatte dunkle Haare und wie sein Vater leuchtend braune, warme Augen.
    Jacky hatte früh zu laufen gelernt, und es hätte ihm nicht die geringsten Schwierigkeiten bereitet, aus seinem Stall herauszuklettern und zu den anderen Kindern des Dorfes zu laufen, um mit ihnen zu spielen oder sich in irgendeinem der Fales von Frauen und Mädchen oder auch von den Männern abküssen zu lassen. Im Stamm von Tonu'Ata gehört jedes Kind jedem, war in jeder Hütte und in jeder Familie zu Hause, in gewissem Sinne waren die Kinder nicht nur Mittelpunkt, sondern auch Bindeglied des Lebens. Sie genossen alle denkbaren Vorrechte, bekamen, wo immer sie auch sein mochten, zu essen und konnten schlafen oder spielen, wo es ihnen gefiel. Doch Jacky blieb in seinem Stall. Und brabbelte die

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