Das Riff der roten Haie
Wolkenberge, sie wuchsen hoch, viel zu hoch für des Pais Geschmack. Die offene See, die mochte er nicht ; sein Revier waren die Inselküsten, die Lagunen oder die Flußmündungen der Inseln, über die die Mangroven wuchsen, waren die Schiffsstraßen Indonesiens, auf denen die Küstenfrachter so dicht unter Land vorbei mußten, daß man nach ihnen greifen konnte, vorbei an den dschungelbewachsenen Hängen, in die man sich zurückziehen konnte, wenn es heiß wurde.
Nun aber, nun war der Franzose schon kaum mehr zu sehen, war nichts als ein winziger, heller Punkt in der auf und ab tanzenden, sich grau färbenden See.
Und der Johnson trieb das Boot immer weiter hinaus ins Meer. Die Bugwelle entfaltete sich wie zwei weiße Flügel.
Der Pai, der das Fluchen satt hatte, begann zu singen, wie immer, wenn ihm der Zorn die Kehle zusammendrückte. Heilige Lieder sang er dann, fromme Psalmen, die ihm die portugiesischen Padres in seiner Kindheit beigebracht hatten.
»Dominum nostrum Jesum Christum Filium tuum«, sang der Pai. Und: »Lobt den Herrn, ihr Himmelschöre, lobt ihn alle, seine Engel, lobt ihn dort in jenen Höhen …«
Nun hätten die frommen Padres sich vermutlich bekreuzigt oder wären in Ohnmacht gefallen, hätten sie vernommen, mit welch unflätigen, grauenhaften Worten der Pai ihre Texte entstellte. »Jesus liebt dich, Musa«, hatten sie ihm damals gesagt. »Hätte er dir sonst eine so schöne Stimme verliehen?«
»Ja, Jesus liebt mich!« schrie der Pai. Er schrie es in seiner Muttersprache. Dann schrie er auf englisch: »Fuck me, Jesus!«
Er lachte, als seine Komplizen ihn anstarrten. Hatten diese Kokosfresser denn noch immer nicht begriffen? »Jesus liebt mich!«, brüllte er sie an. »Seine Mama sowieso. Sie lassen ein Wunder geschehen. Jetzt. Gerade. Habt ihr Augen oder Steine im Kopf oder was?« Und der Pai deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die große weiße Yacht, die gerade mit gerafften Segeln hinter der Ostspitze der Hunga-Insel auftauchte, um Kurs auf den Puerto de Refugio zu nehmen.
***
Jos Ramon Jimenez hatte eigentlich gehofft, in Puerto de Refugio, und zwar in einer der Bars, die ihm das nette neuseeländische Ehepaar empfohlen hatte, das sie in Pangai getroffen hatten, ein ordentliches Frühstück, sogar eines mit frischgebackenem Brot, zu sich zu nehmen.
Doch daraus war nun leider nichts geworden: Wind war aufgekommen, die See wurde ziemlich grob, und dagegen mit dem Katamaran anzukreuzen, dazu fühlte er keine besondere Lust. Dort drüben waren ja schließlich schon ganz deutlich die Umrisse des Mount Ungalafa zu erkennen. Jos Ramon Jimenez, Comandante der königlich-spanischen Marine im Ruhestand, ließ die Motoren anspringen.
Eine Illusion weniger. Na und? Ein Segeltörn wie der, was ist das schon? Nichts anderes als eine Kette unverhoffter Rückschläge, unterbrochen von reichen, überreichen Erlebnis-Geschenken.
Er überprüfte nochmals den Kurs und ging dann auf die Heckplattform des großen Katamarans. Er war durchaus zufrieden, mehr noch: ein beglückendes Abenteuer war die ganze Reise gewesen. So etwas wie die Krönung dessen, was man so gern ein ›erfülltes Berufsleben‹ nennt. Warum auch sollte er sich beklagen? Der Comandante hatte Jahrzehnte als Marineattaché bei befreundeten, vor allem südamerikanischen Staaten zugebracht, um sich dann, wenn ihm der Schreibtischjob zum Hals heraushing, einen Segeltörn und nun – nach seiner Pensionierung – sogar diese große Südseereise zu leisten.
Die ›Estrella II‹ war wie eine Hochseejacht mit allen Schikanen ausgerüstet. Alfonso, ein alter Freund aus Diplomatentagen, hatte sie ihm vermittelt. Eigentlich hatte er noch einen Vorschotmann mitnehmen wollen, aber Elena, die doch im Grunde nichts anderes war als eine typisch spanische Hausfrau, hatte sich als hervorragendes Crew-Mitglied entpuppt.
Er warf sich in seinen Liegestuhl. Den Tee hatten sie hinter sich, hungrig war er noch nicht, das konnte warten, und die paar Marmeladekekse, die Elena dazu serviert hatte, reichten ihm völlig aus. Man wird bescheiden. Auch Elena war es geworden. Alle Härten, die ein Bootsleben nun mal mit sich bringt, überstand sie mit Humor und Gelassenheit. – Ihr aber schlechtes Wetter oder gar einen Sturm zuzumuten, das ging wohl zu weit.
Die ›Estrella‹ fand zwar allein ihren Kurs, aber nun mußte er rauf ins Cockpit. Als José Ramon Jimenez den Salon durchquerte, nahm er das Fernglas von Bord. Es war ihm, als habe er
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