Das Riff der roten Haie
einen gepreßten, hellen Ton aus. Es klang wie ein Pfeifen. Dann lachte er. »Siehst du? Ich habe es gesagt!«
»Was sind die Lichter? Was bedeuten sie?«
»Die Lichter? Die feiern ein Fest, Pai. Wenn wir näher kommen, wirst du auch Trommeln hören. Die feiern ein Fest für den Franzosen. Und was werden sie tun? Viel, viel trinken. Sie trinken die ganze Nacht hindurch. Und mit ihren Mädchen werden sie in die Büsche gehen. Dann wieder Kawa trinken. Und was tun wir, Pai? Ganz einfach: Wir laufen rum und sammeln sie alle ein.«
Es war die längste Rede, die der Pai je von Osea gehört hatte. »Wir laufen rum und sammeln sie alle ein.« – So einfach würde es nicht werden. Viele Lichter, das bedeutete viele Leute … Na wenn schon! Viele Leute mit vielen Perlen. Es war nicht zu glauben! Der Pai kuppelte aus und legte den Kopf in beide Hände. »Kyrie eleison«, schrie der Pai und versuchte sich vorzustellen, was sie dort drüben alles erwartete …
***
Vielleicht würde es einen, vielleicht auch zwei Tage dauern. Oder drei … Wer wußte das schon? Doch ein Fest würde es werden, ein gewaltiges Fest!
Die Schweine waren bereits geschlachtet, die Kawawurzeln zusammengetragen, die Fischer hatten Hummer aus den Felsbänken geholt und Fische gefangen; eine freudige, fiebrige Erwartung legte sich über das Dorf.
Den ganzen Tag über ging es so. Da kreischten Hühner, quiekten die Ferkelchen, die in die Erdöfen wandern mußten, und sie, die ›Umus‹, mußten mit neuen Steinen ausgekleidet werden, ehe sie das Feuer aufnehmen konnten.
Die schweren Baumtrommeln wurden herausgeholt und eingestimmt. Frauen und Mädchen machten sich schön, wuschen sich ihre Haare, salbten sich gegenseitig und schminkten sich. In den Wurzelbottichen wurde die Kawa für die Zeremonie angerührt, die Kawa, die den Göttern gehörte, die Herzen weit machen und das Fest so richtig in Schwung bringen sollte.
Schon am Vormittag hatte der Tápana angeordnet, die beiden großen Kriegskanus zu Wasser zu bringen und sie im Turnus mit seinen Söhnen und den Söhnen der Dorfältesten zu bemannen.
Draußen in der Lagune schaukelte Rons ›Paradies‹ neben der ›Ecole II‹. Die jungen Männer, die verhindern sollten, daß irgendwelche Freunde das Schiff erkletterten, um sich dort umzuschauen, sangen schwermütige Lieder.
Sie langweilten, nein, ärgerten sich. Sie ärgerten sich darüber, daß die anderen an den Festvorbereitungen teilnehmen konnten. Schibes Schiff war tabu. Gestohlen hätte keiner etwas, natürlich nicht. Aber Vorsicht ist nicht nur der bessere Teil der Tapferkeit, sondern auch der Vernunft. Die Leute von Tonu'Ata waren nun einmal zu neugierig, welche Herrlichkeiten Schibe nach drei Jahren zum ersten Mal auf ihre Insel brachte.
Vermutlich waren solche Kästchen dabei, die Musik machten, wie Ovaku sie besaß. Und Scheren hatte er sicher mitgebracht, Saatgut, das konnten sie dringend brauchen. Dann Stoff, Nadeln, Garnzeug. Auch Nylonseile und neue Netze.
Doch zuerst kam das Fest …
***
»So eine Scheißtalje klemmte«, erzählte Gilbert Descartes. »Ist mir eigentlich noch nie passiert. Ich kam einfach mit dem Segel nicht zurecht. Ich kriegte es nicht runter. Es war noch gar nicht dunkel, aber der Sturm legte da gerade so richtig los. Na schön, ich versuchte und versuchte es wieder und wieder – und da war's passiert: Das Segel knallte durch, und der halbe Mast kam gleich mit. Was blieb mir schon übrig, als das Wetter auf den Kiel zu nehmen? Ja, und da hab' ich wohl den armen alten ›Freddy‹ ein bißchen überdreht. Jedenfalls wollte zunächst ein Ventil nicht mehr mitspielen, und dann begann der Ärger mit der Dichtung. Lag wohl daran, daß ich einfach zuviel zu tun hatte und mich nicht um ›Freddy‹ kümmern konnte. Wie denn? Aber das hat er mir wohl ziemlich übelgenommen. Er ist ja auch nicht mehr der Allerjüngste.«
»Wieso eigentlich Freddy?« fragte Ron.
»Wieso? Weiß auch nicht … Kannte mal einen, der mich an ihn erinnerte. Der war auch nicht umzubringen. – ›Freddy‹ ist ein Cummings. Baujahr 24. Das sind noch immer die besten Schiffsdiesel der Welt.«
»So?« Ron sah wieder zur Lagune hinüber, die still und in unschuldigem Frieden vor sich hin strahlte. Ganz deutlich war die plumpe Form des Bootes zu sehen, das da draußen schwamm.
Sie saßen auf der Terrasse des Hauses. Der Abend war gekommen, und im Westen hing ein Hauch von Flamingo-Rosa über den Palmen.
Vom Dorf drangen aufgeregte
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