Das Riff der roten Haie
und acht Monate, um es genau zu sagen.«
»Da sind Sie in diesem Luxusliner angekreuzt? Das Prachtstück heißt auch noch ›Paradies‹, wie sinnig! Wie haben Sie denn dieses Paradies überhaupt gefunden?«
Gilbert Descartes blickte hinüber zum Strand, wo inzwischen das ganze Dorf zusammengelaufen war und die ersten Kanus ins Wasser geschoben wurden. Er winkte.
»Gefunden ist die Übertreibung des Jahres«, antwortete Ron. »Und ich kam nicht im Luxusliner an, wie Sie so schön sagen. Von wegen, Mann! Ich kam so an, wie Sie heute auch hätten ankommen können: halb ersoffen. Im Schlauchboot … Mein Schiff ist mir irgendwo dort draußen unterm Hintern weggerutscht. Der Sturm hat Kleinholz daraus gemacht. Und daß es ein Tonu'Ata gab, woher sollte ich das wissen? Ich konnte es gar nicht glauben. Aber ich war heilfroh …«
Die Augen hinter der Brille wurden ernst. Jetzt blickten sie Ron an, als würden sie Maß nehmen.
»Kann ich mir vorstellen. – Und woher kamen Sie?«
»Oh«, sagte Ron, »das ist eine lange Geschichte. Ich kann sie Ihnen ja noch erzählen, falls Sie darauf neugierig sind. Aber jetzt … sehen Sie mal, jetzt haben Sie gleich was anderes zu tun!«
Descartes rieb sich die kurze, dicke Nase. Zum ersten Mal war auch an seinem Gesicht abzulesen, was hinter ihm liegen mußte. Wie auf einem körnigen Film bildeten sich unter all dem Braun der Gesichtsfarbe helle, weißliche Flecken. Auch die Augen schienen tiefer gesunken zu sein. An den Winkeln zeichneten sich Falten ab.
Aber schon drehte er sich wieder um und hinkte zur Backbordreling, hielt sich dort mit beiden Armen fest und brüllte aus gewölbter Brust den heranschießenden Kanus sein ›Malo e lelei‹ entgegen, den tongaischen Willkommensgruß.
Im Geleitzug, umgeben von wasserflirrenden Paddeln und begeisterten, braunen, lachenden Menschen erreichten sie den Strand.
Dort hatte sich Tápana aufgebaut. Ein Tápana in vollem Ornat, den Staatsrock um die Hüften, auf der Brust all die Muschel-, Fisch-, Korallen- und Haizahnketten, die ein Ereignis wie Schibes Wiederkehr nun mal verlangte.
Und hinter ihm seine Söhne, dann die Dorfältesten und schließlich das Volk. Die jungen Männer hatten ihre Speere dabei, und damit fuchtelten sie wild und lachend in der Luft, als Afa'Tolou, Tápanas ältester Sohn, Descartes aus dem Beiboot an Land half.
Schibe aber strahlte sie alle an. Es war ein Strahlen, das sich schwer beschreiben läßt, so begeisternd-freudig und freundlich, als wäre für jeden einzelnen sein Herz geöffnet.
Dann humpelte er einige Schritte über den Sand, um dann etwas zu tun, was ungemein pathetisch und daher wie alles Pathetische reichlich lächerlich und dennoch sehr anrührend wirkte. Ron kannte es nur von dem Herrn mit dem weißen Papstkäppchen, wenn er aus seiner Alitalia-Boeing stieg.
Und auch Schibe kniete sich nieder, beugte sich weit nach vorne und küßte den Strand von Tonu'Ata. Die Menschen waren ganz still geworden und sahen zu, wie der Wind mit dem zerfetzten Hemd des dicken Franzosen spielte.
Dann schrien sie alle los.
Er sprang auf, lachte und warf die Arme hoch, als wolle er sie segnen, ließ sich von ihnen in die Mitte nehmen, und im Geleit gingen sie zum Haus, während Ron erklärte, daß Schibe dringend Schlaf brauche, weil G'erenge, der Meeresgott, um ein Haar ihn und sein Schiff und all die schönen Dinge, die es gebracht hatte, in die Tiefe gerissen hätte.
Und dies wiederum sahen sie alle ein.
***
Osea trug seit einiger Zeit die Yachtkappe des Toten auf dem runden Schädel. Und das war ein prächtiges Stück: khakifarben, der Schild mit goldenen Blättern bestickt, eine richtige Kapitänsmütze.
Der Pai beugte sich vor, blitzschnell wie immer, riß Osea die Mütze vom Kopf und warf sie mit Schwung über Bord.
Keiner sagte ein Wort. Osea aber nickte. Eine solche Mütze, nein, die bringt keine Kraft. Bei dem, was ihnen bevorstand, würde sie nur eines bringen – Unglück.
Das Meer hatte sich im Laufe des Tages wieder etwas beruhigt. Die Stunden quälten sich dahin. Wie langsam doch die Zeit verstrich!
Am Vormittag hatten sie die Hälfte der Konservendosen aufgebrochen, die sie in der Küche gefunden hatten, und sich das Frühstück ihres Lebens geleistet. Dann wurde noch einmal, unter den mißtrauischen Augen des Pai, der Salon und die beiden Kabinen bis in die letzte Schublade durchstöbert. Selbst die Bücher hatten sie durchgeblättert. Nichts. Nichts als eine Handvoll Münzen in einem
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