Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
letzten Platz im Computerkurs vor der Nase weggeschnappt, obwohl ich früher da war als er.“
„Ist das seine Schuld? Oder die vom Grams, der ihn eingetragen hat und nicht dich?“
„Jedenfalls ist es seine Schuld, dass er ein Ekel ist.“
„Ich find ihn cool. Wusstest du, dass er sogar ein richtiges Gewehr zerlegen und wieder zusammenbauen kann? Mit verbundenen Augen!“
„Sein blöder Waffentick ist einer der Gründe, warum ich ihn nicht ausstehen kann. Ich kann es nun mal nicht leiden, wenn man sich gegenseitig totschießt. Tut mir leid, wenn das ein Fehler von mir ist.“
„Dafür liest er viel, das müsste dir doch gefallen.“
„Lucy, was Bülent liest, kannst du wohl kaum als richtige Bücher bezeichnen. Ich lese Anne Rice, Wolfgang Hohlbein, Bram Stoker. Das ist Literatur! Bülent hängt die ganze Zeit mit seinen Kinderschmökern Marke TKKG in der Ecke.“
„Wenn's dich tröstet, er mag dich auch nicht. Sagt, du wärst eine Klugscheißerin und sowieso ein bisschen komisch.“
Lea zuckte leicht zusammen. „Das tröstet mich tatsächlich“, antwortete sie betont souverän, „dann muss ich wenigstens nicht befürchten, dass der Fettsack mich anspricht.“
„Du stehst wohl mehr auf Hungerhaken wie Timm, was?“
„Wie kommst du jetzt auf den?“
„Weil er mich gebeten hat, dich zu fragen, ob du mit ihm ausgehst.“
„Er hat was ?“
Aber Lucy kam nicht mehr zu einer Antwort, denn im selben Moment erreichten sie ihren Klassenraum. Beide atmeten noch einmal tief ein und wieder aus. „Hoffentlich hat der Papagei gute Laune“, flüsterte Lucy.
Günther Wolff war ein großgewachsener, hagerer Mann. Sein Blick war durch eine leichte, aber beständige Anspannung gekennzeichnet, sodass man zu jeder Zeit mit einem Wutausbruch rechnete, in dem sich diese Spannung Bahn brechen müsste.
Wodurch wiederum, so hatte er festgestellt, tatsächliche Wutausbrüche seinerseits weitaus seltener vonnöten waren als bei seinen freundlich dreinschauenden Kollegen. Seine Schüler tanzten ihm nicht auf der Nase herum! Sie behandelten ihn wie einen inaktiven Vulkan, an dessen fruchtbaren Hängen sie sich niedergelassen hatten: mit Respekt.
Dabei wusste er sehr wohl um seinen wenig schmeichelhaften Beinamen. Und er wusste auch, woher die Rotznasen ihn hatten: von ihren eigenen Eltern, die dereinst mit Wolff zusammen zur Schule gegangen waren und ihn damals schon gehänselt hatten wegen seiner Angewohnheit, die letzten Worte seines Gesprächspartners murmelnd zu wiederholen, bevor er zu einer Antwort ansetzte. Nun ja, und natürlich wegen seiner gewaltigen, am Rücken abgerundeten, gelblich gefärbten, mit einem Wort: papageienhaften Nase.
„Bonjour“, flötete der Papagei den beiden Mädchen zu, als sie versuchten, sich lautlos zwischen ihren Klassenkameraden in Richtung ihrer Plätze hindurchzuschlängeln, „vous place. J'espère, vous ne prenez pas-moi mal que j'ai déjà commencé sans vous.“
Zur ganzen Klasse gewandt fuhr er fort: „Nous parlons aujourd'hui de Jeanne d'Arc . Comme lui savez, elle est au quinzième siècle brûlé en tant que sorcière – bien que la grande chasse aux sorcières n'eût encore pas du tout commencé à ce temps ...“
„Hast du irgendwas verstanden?“, flüsterte Lucy in Leas Richtung.
„Dass man Jeanne d'Arc im 15. Jahrhundert als Hexe verbrannt hat, obwohl die Zeit der Hexenverfolgung noch gar nicht angefangen hatte. Oder schon vorbei war. Irgend so was.“
Der Papagei bedachte sie mit einem strengen Blick, und die Mädchen verstummten.
„Weißt du, was ich an Lehrern wirklich hasse?“, fragte Lucy, als die beiden die lange Treppe in Richtung Freiheit hinunterliefen.
„Dass sie existieren?“, vermutete Lea.
„Dass man so machtlos ist gegen sie. Sie können dir schlechte Noten geben, dich zum Direktor schicken, dich sogar von der Schule schmeißen – und du? Du könntest ihnen höchstens am Wochenende auflauern und ein paar reinhauen, was du aber auch nicht tust, weil sie dir sonst schlechte Noten geben, dich zum Direktor schicken und von der Schule schmeißen ...“
Lea hörte nur mit halbem Ohr hin. Sie hatte andere Dinge im Kopf. Wichtigere Dinge. Eine Verabredung, die ihr Leben entscheidend zum Positiven verändern sollte. Hoffte sie. Nicht in Prag, aber dafür in der Realität. Wollten nicht immer alle von ihr, dass sie mehr in der Realität lebte?
„Hörst du mir überhaupt zu?“
„Hm? Äh, ja, klar ... hör mal, Lucy, ich
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