Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
erfahren; hatte gelernt, dass dem Hexenwahn neben unschuldigen Frauen wie ihr auch sehr viele wirkliche Vampire zum Opfer gefallen waren. Viele ihrer Art hatten Europa verlassen, trotz der Gefahren, die lange Reisen zwangsläufig mit sich brachten. Andere hatten ihr Heil in der Kooperation gesucht, hatten wichtige Posten in Stadträten und Kirchen mit ihren sterblichen Dienern besetzt, um dem Unheil ein Ende zu bereiten. Und wieder andere kamen zu dem Schluss, dass die Menschen, die so gierig nach Folter und Tod waren, nur durch Folter und Tod von ihrem Ansinnen abgebracht werden konnten. So entstand der Gedanke des Sakraments der Rache, dessen Anhänger systematisch die unschuldig Verurteilten aufsuchten, die sie für geeignet hielten, Kinder der Nacht zu werden.
Letzten Endes konnte niemand sagen, was es tatsächlich war, das die Menschen veranlasst hatte, die Hexenverfolgungen zu stoppen. Aber dass sie sich als würdig erwiesen hatte, ein Kind der Nacht zu sein, stand außer Frage. In ganz Europa kannte und respektierte man sie, und es mochte gut sein, dass selbst auf den anderen Kontinenten ihr Name einen respektablen, um nicht zu sagen Angst einflößenden Klang hatte.
Allein ihr schieres Alter genügte, um bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Unsterblich war ein großes Wort, aber die meisten Untoten überlebten kaum ihr zweihundertstes Jahr; es gab nur wenige mächtige Auserwählte wie Julio, der bald sein viertes Jahrhundert beginnen würde. Die meisten kapitulierten vorher am Abgrund der Ewigkeit, verloren Vernunft und Verstand und fanden ein unrühmliches Ende als debile Tiere in der Morgensonne, weil sie nichts hatten, das ihrem Unleben Sinn und Richtung verlieh; kein Ordnungssystem, an dem sie die formlose Unendlichkeit, die vor ihnen lag, ausrichten konnten.
Nicht so Elsa. Sie war klug genug gewesen, die Triebkraft ihres menschlichen Seins in sich einzukapseln und in die Unsterblichkeit hinüberzuretten. Seit über vierhundert Jahren nährte sie sich davon. Diese Kraft hatte sie zu dem gemacht, was sie war.
Sie war Doña Elisa. Sie war die Königin der Nacht.
25. Kapitel
„Wollen Sie denn die ganze Nacht hierbleiben, Herr Ritterbusch?“
„Wie bitte? Äh, ja. Ich meine nein. Gehen Sie ruhig nach Hause, Frau Dittmann.“
„Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Sie sehen nicht gut aus. Sie sollten auch nach Hause gehen. Schließlich haben selbst Hauptkommissare ihre festgelegten Wochenarbeitszeiten. Sie müssen nicht jeden Abend hier sitzen.“
„Alles ist bestens, Frau Dittmann. Und was ich muss und was nicht, ist eine andere Frage. Alles Große in unserer Welt geschieht nur, weil jemand mehr tut, als er muss, sagt Hermann Gmeiner.“
„Na schön. Dann auf Wiedersehen, Herr Ritterbusch.“
„Auf Wiedersehen, und schönen Feierabend.“
Kaum war sie gegangen, öffnete er die Schreibtischschublade und fingerte ein Päckchen heraus, auf dem FAUSTAN ® 5 geschrieben stand. Hatte die Fassade des erfahrenen, souveränen, nie um einen klugen Satz verlegenen Polizeibeamten einen Moment lang gebröckelt? Egal. Das hier würde sie wieder aufbauen.
Was hieß überhaupt Fassade? Schließlich war er bis vor einem Jahr tatsächlich noch dieser Beamte gewesen: erfahren, souverän und immer Herr der Lage. Bis Mariam ihn verlassen hatte.
Er hatte nie wirklich verstanden, warum sie das tun musste. Es gab keinen anderen Mann, er hatte sie auch nicht betrogen, und ebenso wenig hatte er zu der Sorte gehört, die jeden Abend bis ultimo im Büro verbrachte. Jedenfalls solange sie noch zusammen waren.
Danach änderte sich dieser Umstand schnell. Die leere Wohnung war so unerträglich, dass er eine regelrechte Panik davor entwickelte, sie nach Feierabend zu betreten. Das Gefühl, die Kehle würde ihm abgeschnürt, und das Herzrasen trieben ihn schließlich zu seinem Hausarzt, der ihn mit einem neuen Freund bekannt machte. Dieser Freund half ihm, die Panik zu überwinden. Er hieß Faustan, und Ritterbusch traf ihn gerne und bald auch öfter. Hatte er mit einer Tablette am Tag begonnen, so schrumpfte der Inhalt der Packungen mittlerweile immer rapider. Als er das mit seinem Hausarzt besprach, redete der ihm ins Gewissen, sprach von Suchtgefahr, Gewöhnungseffekt und Nebenwirkungen. Ritterbusch zog die Konsequenzen und wechselte den Hausarzt.
Das Klingeln des Telefons auf seinem Schreibtisch riss ihn aus seinen Gedanken. Er würgte die Tablette herunter und nahm den Hörer ab.
Es war der Pförtner. „Hab's bei
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