Das Rosenhaus
Gartentörchen
öffnete.
Ohne ein weiteres Wort und ohne sich noch einmal umzusehen, ging sie
ins Haus.
Ihm war klar, dass ihr Verhalten nichts mit Unhöflichkeit zu tun
hatte, sondern damit, dass er einen wunden Punkt getroffen und sie sich
daraufhin zurückgezogen hatte.
Lily Bonner war wie ein exotischer Fisch, ein wunderschöner, in
bunten Farben schillernder Fisch, der sich in den Korallenriffs im Indischen
Ozean tummeln sollte, aber irgendwie im kalten Atlantik bei den Wolfsbarschen
gelandet war, wo seine Farben immer mehr verblassten und er ums Überleben
kämpfte.
Selbst überrascht von diesem abstrusen Vergleich schüttelte er den
Kopf und lachte dann laut auf, als er sich vorstellte, was seine Mutter wohl
sagen würde, wenn ihr jemals zu Ohren käme, dass er sie mit einem Wolfsbarsch
verglichen hatte.
20
A m nächsten Tag hatte Liam einen Termin bei den
Physiotherapeuten im Krankenhaus,
und Lily hoffte, dass er nichts dagegen hatte, wenn sie mitfuhr. Sie wollte mit
eigenen Ohren hören, was man dort zu seinen Fortschritten sagte. Sie war sich
sicher, dass die Version, die sie ansonsten von Dylan zu hören bekam, von
dessen Optimismus schöngefärbt war.
Doch als sie so weit fertig war, waren die beiden Männer längst
abfahrbereit und wollten ohne sie los.
»Wir frühstücken unterwegs«, erklärte Dylan. »Aber Reef würde dir
sicher gern Gesellschaft leisten.«
»Ein Ei oder zwei, Reef?« Lily versuchte ihre Enttäuschung zu
überspielen.
»So viel, wie der Hund frisst, würde ich eher ein oder zwei Dutzend
einplanen«, scherzte Liam, während er sich unter Mühen aus seinem Zimmer
rollte. »Komm schon, Dyl, hilf mir mal eben. Ich brauche meine Kräfte noch in
der Folterkammer.«
»Folterkammer?«
»Mhm, diese Physiotherapisten sind von Torquemada höchstpersönlich
geschult.«
»Soll ich mitkommen?«
»Damit es für meine rituelle Erniedrigung noch mehr Zeugen gibt?
Nein, danke. Außerdem komme ich ja ganz gut damit klar. Wie lautet das Motto,
Dylan?«
Die beiden sahen sich an und sagten dann unisono:
»Was nicht tötet, härtet ab.«
»Bis später, Lily.«
»Ja, bis später, Lil.«
Und damit rauschten sie ab.
Sie brachte es fertig, für die Zubereitung, das Essen und
das Aufräumen des Frühstücks eineinhalb Stunden aufzuwenden.
Gerade als sie wieder einmal die Gartenhandschuhe in der Hand hielt,
eingehend betrachtete und sich überlegte, sie endlich anzuziehen und sich dem
Rosengarten zu widmen, durchschnitt ein fürchterliches Schrillen die Stille.
Lily hörte es zum ersten Mal und kam deshalb erst nach einem Moment
der Verwirrung darauf, dass es die Türklingel war, die sie gerade aus ihrer
gedanklichen Debatte gerissen hatte.
Es dauerte einen weiteren Moment, bis sie begriff, dass der Mann,
der vor der Tür stand und ihr irgendwie bekannt vorkam, Duncan Corday war.
»Hallo.« Er lächelte.
Seine weißen Zähne blitzten auf.
Misstrauisch beäugte Lily ihn und lächelte ihn freundlicher an, als
sie eigentlich wollte.
Woraufhin sich sein Lächeln intensivierte.
»Ich wollte Liam besuchen. Wenn er Besuch haben möchte.
Wahrscheinlich hätte ich vorher anrufen sollen …«
»Er ist nicht da«, teilte sie ihm knapp mit.
»Nicht da?« Erstaunt sah er sie an.
Angesichts Liams desolaten Gesundheitszustandes konnte Lily Cordays
Verwunderung über diese Nachricht eigentlich gut verstehen.
»Physiotherapie«, erklärte sie.
Betretenes Schweigen.
Langes betretenes Schweigen.
Und dann erschlug er sie fast mit einem riesigen Strauß Blumen, den
er hinter seinem Rücken hervorzog.
»Na, die hier sind jedenfalls für Sie …«
»Oh, danke … die sind aber schön.«
Dann schwiegen sie wieder, und Lily hoffte inständig, er möge sich
jetzt verabschieden und verschwinden. Sie wollte nicht unhöflich sein, aber ihm
doch signalisieren, dass er nicht gerade willkommen war.
Die Botschaft kam möglicherweise an, da er anfing, von einem Fuß auf
den anderen zu treten, aber gehen wollte er offensichtlich nicht, denn sein
Lächeln wurde nur noch breiter.
»Ist er den ganzen Tag weg?«
Wie gerne hätte sie Ja gesagt. Wie gerne hätte sie behauptet, Liam
würde erst gegen Abend wiederkommen, aber sie konnte noch nie gut lügen.
Höchstens verschweigen. Oder verdrängen.
»Normalerweise ist er kurz nach Mittag wieder da.«
Corday sah auf die Uhr.
Lily wusste, dass es bis Mittag nicht mehr lange hin war.
Eigentlich wollte sie es wirklich nicht sagen, aber wie das manchmal
so
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