Das Rosenhaus
Er hat die
Frau seines Lebens gefunden.«
»Da könntest du recht haben.«
Sie sah ihn mit unbewegtem Gesicht an. In ihrem Blick lag ein wenig
Hoffnung.
»Na, das ist ja mal ganz was Neues, dass ich recht haben soll.«
»Kommt eben hin und wieder mal vor. Allerdings selten. So wie der
Halleysche Komet.«
Aus seinem Blick sprachen Zuneigung und Wärme. Genug, um sie aus der
Reserve zu locken und sie seine Hand zu ihrem Gesicht führen zu lassen. Mit
geschlossenen Augen schmiegte sie ihre Wange an seinen Handrücken und genoss
das wunderbare Gefühl seiner Haut auf ihrer.
»Ich mag dich eigentlich gar nicht fragen, aber ich möchte es so
gerne wissen …«, murmelte sie. »Du wirkst so … so …«
Ihr fehlten die richtigen Worte.
Ihm fielen jede Menge ein.
Verbittert.
Wütend.
Verletzt.
Nachtragend.
Schuldbewusst.
»Ich werde mich schon wieder aufrappeln«, antwortete er mit
entschlossener, fester Stimme. Er wollte, dass dies die Wahrheit war. Obwohl
der Schmerz doch so viel tiefer lag als in seinen gebrochenen Knochen.
Sie nickte erleichtert, drückte die Lippen auf seine Hand und wagte
es dann, ihm noch eine Frage zu stellen. Eine nicht minder wichtige.
»Werden wir uns auch wieder aufrappeln?«
Er schwieg.
Sie schloss die Augen und hielt die Luft an wie ein Kind. Als sie
sie wieder öffnete, sah er sie an. Ihm standen Tränen in den Augen. Flehentlich
war sein Blick, wie eine Umarmung, die sein Körper ihm nicht gestattete.
»Warum hast du damals nie geweint, Lily?«
Sofort spürte er, wie sie sich zurückzog, wie sie ihre beiden Hände
sinken ließ, ohne seine loszulassen.
Sie schaffte nicht mehr als ein heiseres Flüstern.
»Ich habe so viel geweint.«
»Aber nicht mit mir. Du hast nie mit mir geweint«, flüsterte auch
er.
Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen.
Es dauerte eine Weile, bis sie wieder daran dachte, zu atmen.
Dann fragte sie ihn noch einmal.
»Werden wir uns auch wieder aufrappeln?«
Er antwortete nicht.
Als Lily wieder zu ihm hinsah, war er vor lauter Erschöpfung
eingeschlafen.
Vier Stunden später wachte er von den hämmernden,
bohrenden und stechenden Schmerzen in seinem Bein wieder auf. Lily war fort.
19
D ie Tür des
Rose Cottage öffnete sich jeden Morgen zur gleichen Zeit. Man konnte die Uhr
danach stellen. Um halb neun trat sie heraus, durchschritt den kleinen
Vorgarten, passierte das Törchen und bog nach rechts ab. Obwohl die Strecke
über die Landzunge zum Weststrand viel schöner war, wandte sie sich immer gen
Osten und ging in den Ort.
Abi hatte ihm erzählt, was sie über Liams Unfall wusste, und sich
darüber ausgelassen, wie schwer Lily es hatte. Seine Mutter war ganz
offensichtlich begeistert von Lily Bonner, sie hatte sie fest ins Herz
geschlossen und würde das sicher auch mit ihrem Mann Liam tun, sobald sie ihn
kennenlernte.
Ja, es war sicher nicht einfach für die beiden. Nathan hatte in der
weiten Welt schon mehr als genug Angst und Entbehrung gesehen, und es gab etwas
in Lilys Blick, das ihn daran erinnerte. Als würde sie seelisch verhungern.
Er mochte Lily. Sie sah immer so allein aus. So einsam.
Vielleicht spazierte sie deshalb immer ins Dorf hinunter statt in
die Einöde der Landzunge.
Driftwood Cottage war das letzte Haus im Ort, es stand recht
isoliert und war von einem halben Hektar Garten und einem Hektar Feldern
umgeben. Abi behauptete immer, sie liebe die Einsamkeit, aber Abi lebte ja auch
nur im Sommer hier, wenn in Merrien Cove etwas los war und ihre Freunde in der
Nähe waren.
Seine Mutter hatte ihm erzählt, Lily sei erst kürzlich von London
hierhergezogen.
Nathan hatte während seines Studiums drei Jahre in London gelebt und
über die riesigen Unterschiede zwischen der Hauptstadt und der Provinz
gestaunt. Natürlich ist theoretisch jedem klar, dass Stadt und Land nicht das
Gleiche sind, aber die Praxis sieht dann doch noch mal ganz anders aus … In
London herrschte rund um die Uhr Betriebsamkeit. In Cornwall machten selbst die
Immobilienmakler am Wochenende zu.
Er hatte die Zeit in der Großstadt genossen, viele seiner Freunde
lebten und arbeiteten immer noch dort, aber er war nie versucht gewesen, in
London sesshaft zu werden. Wenn er auf Großstadtentzug war, behalf er sich mit
wohldosierten und eher seltenen Übernachtungsbesuchen bei seinem Freund in
Soho. Zuhause fühlte er sich aber – wie seine Mutter – eigentlich nur im
Driftwood Cottage in Merrien Cove.
Dort war ihm alles so vertraut. So
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