Das Rosenhaus
Wunderschön.«
»Wenn es dir hier so gut gefällt, wieso bist du dann so oft
unterwegs?«
»Abstand schafft bekanntlich Nähe.«
»Das klingt aber schwer nach einstudierter Standardantwort.«
Er lachte verlegen.
»Stimmt. Das werde ich nun mal oft gefragt. Vor allem von meiner
Mutter. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich es selbst nicht. Aber ich weiß, dass
Cornwall nicht die einzige schöne Ecke der Welt ist.«
»Du bist schon wahnsinnig viel rumgekommen, oder?«
»Ja, ziemlich«, nickte er.
»Beneidenswert.«
Neugierig sah er sie an.
»Bist du denn nie auf Reisen, Lily?«
»Na ja, jedenfalls nicht so viel, wie ich gerne würde … Nach dem Abi
habe ich das übliche Sabbat-Reisejahr eingelegt.«
»Und wo hat es dir auf der ganzen Welt am besten gefallen?«
Sie schwieg, dann zuckte sie kaum merklich mit den Schultern.
»Weiß nicht. In Paris vielleicht. Aber ich habe noch nicht genug von
der Welt gesehen, um dazu etwas sagen zu können.«
»Das heißt, der Ort, der dir am allerbesten gefällt, ist ein Ort, an
dem du noch nie warst?«
»So ungefähr, ja.«
Den Rest der Strecke bis nach Truro sprachen sie kein
Wort. Als sie den Stadtrand erreichten, fuhr Dylan einen ruhigen Parkplatz im
Grünen an und schaltete den Motor ab.
Liam seufzte und schloss in Erwartung der nächsten Standpauke die
Augen.
Dylan hörte den Seufzer, ließ sich von seinem Vorhaben aber nicht
abbringen.
»Manchmal muss man eine Wunde exponieren und Luft an sie lassen,
damit sie heilen kann. Wenn man traurig oder sonst irgendwie bedrückt ist, ist
es wichtig, mit jemandem darüber zu sprechen. Das gehört zum Genesungsprozess
dazu – und du willst doch wieder gesund werden, oder?«
»Und wenn es nur wäre, um dich endlich zum Teufel jagen zu können,
ja«, knurrte Liam.
Dylan sah zu ihm herüber. Er musste über Liams verbissenen
Gesichtsausdruck lachen.
»Halt die Fresse, Dyl.«
»Sie vergreifen sich heute regelmäßig im Ton, Mr. Bonner.«
»Ja, weil man mich heute ständig bis aufs Blut reizt«, entgegnete
Liam und bedachte den jungen Mann am Steuer seines Wagens mit einem
durchdringenden Blick.
»Weil du dich heute ständig bis aufs Blut reizen lässt ,
meinst du wohl. Also, weißt du, Liam, manchmal kommst du mir echt vor wie ein
ziemlich unreifes, albernes Kind …« Mehr sagte Dylan nicht, denn als er den
Blick zur Seite richtete, liefen Liam Tränen übers Gesicht.
Nathan lenkte den Jaguar auf den Parkplatz.
Kaum öffnete er die Wagentür, sprang Reefer vom Beifahrerfußraum
über Lilys Schoß und den Fahrersitz hinweg nach draußen und fing an, die
gesamte Umgebung zu beschnuppern.
»Na, wenigstens der Hund ist schon mal hier gewesen«, lachte Nathan,
als Lily dem Tier hinterherrannte.
Er nahm seine Lieblingskamera, eine Leica, vom Rücksitz und
verstaute den Rest der Fotoausrüstung im Kofferraum, bevor er Lily folgte.
»Mann, ist das schön hier«, murmelte Lily. Sie ließ den Blick von
den Steilfelsen links über das mit Ginster und dicken Seegrasbüscheln
bewachsene Tal zu den Steilfelsen rechts wandern. Noch waren sie nicht am
Strand, aber der Sand unter ihren Füßen war so fein, dass sie Lust bekam, die
Schuhe auszuziehen und barfuß Richtung Horizont zu rennen.
»Das Minack ist da oben rechts.« Er schirmte seine Augen mit der
Hand gegen die Sonne ab und zeigte in die Ferne.
»Das Minack? Was ist das?«
»Ein in den Steilfelsen gebautes Freilichttheater.«
»Ach, stimmt, das hat Peter mal erwähnt. Soll ziemlich beeindruckend
sein.«
»Stimmt. Du solltest es dir unbedingt bei Gelegenheit mal ansehen.
Ganz gleich, welches Stück gespielt wird – allein die Lage und die Aussicht
sind einmalig und einen Besuch wert. Aber nimm dir auf jeden Fall ein
Sitzkissen mit, die Sitzreihen sind nämlich auch aus Stein. Wie meine Mutter
immer so schön sagt: ›Die Sitze sind gar barsch zu meinem zarten Po.‹«
Lily grinste.
»Deine Mutter ist großartig.«
»Sie hält auch große Stücke auf dich.«
»Ist das Theater geöffnet?«
»Ja, klar. Die Saison hat im April angefangen.«
»Liam geht gerne ins Theater. Oder zumindest ist er in London gern
ins Theater gegangen. Es gehörte einfach dazu.«
»Und du?«
Sie nickte.
»Lieblingsstück?«
»Kein bestimmtes.«
»Lieblingsbuch?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Es gibt so viele tolle Bücher auf der Welt, warum soll man sich da
auf eins beschränken?«
»So habe ich das noch nie betrachtet.«
Sie erreichten den Scheitelpunkt eines Hügels und
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