Das Rosenhaus
Lily mit
einem Tablett herein.
»Ich dachte, du hättest vielleicht Lust auf Frühstück im Bett«,
verkündete sie strahlend.
»Ach, du meinst, weil ich die letzten zwei Monate auch immer im Bett
gefrühstückt habe …«
Ihr Lächeln erstarb, und er biss sich auf die Lippe, als könne er
die spitze Bemerkung damit ungeschehen machen.
»Tut mir leid … tut mir leid …«, entschuldigte er sich.
»Nein, du hast ja ganz recht … Ich habe nicht nachgedacht …«
»Hättest du was dagegen, wenn ich erst mal aufstehe, mich anziehe
und dann in der Küche frühstücke? Es ist Ewigkeiten her, seit ich zuletzt an
einem richtigen Tisch gegessen habe.« Jetzt war er übertrieben höflich, weil er
sie auf keinen Fall wieder vor den Kopf stoßen wollte. Dieser plötzliche
Wechsel beunruhigte sie allerdings nur noch mehr.
»Überhaupt nicht.« Sie schlug denselben höflichen Ton an wie er.
»Möchtest du baden?«
Er nickte.
»Ich lasse dir Wasser ein.«
Es war gar nicht so einfach, ihn in die Badewanne zu
bekommen. Körperlich war es eigentlich kein Problem, denn es standen ja
entsprechende Hilfsgeräte bereit. Es war eher ein psychologisches Problem. Die
Situation war ihnen beiden so neu und fremd.
Lily versuchte, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
»Sitzt du bequem? Geht das so mit deinem Bein? Berührt der Gips das
Wasser? Ist die Temperatur okay so?«
»Alles wunderbar. Aber noch schöner wäre es, wenn du mir
Gesellschaft leisten würdest.« Er streckte die gesunde Hand nach ihr aus, zog
sie zu sich heran, küsste sie ausgiebig und zärtlich, spürte, wie sie den Atem
anhielt, und ließ sie dann seufzend wieder los.
»Ich habe dich so vermisst«, flüsterte er.
»Ich dich auch«, entgegnete sie. Und nicht erst seit deinem Unfall,
dachte sie. »Also: Kokos oder Avocado?«
»Habe keinen Hunger, danke.«
»Shampoo, du Knalltüte.« Lächelnd zeigte sie ihm die Flaschen.
Auch das war im Krankenhaus anders. Dort war es normal, dass es
Pflegepersonal gab, das alles für einen tat, irgendwann gewöhnte man sich
daran. Aber das hier war etwas anderes. Diese Frau hier war Lily, seine Frau, die Frau, die stets zu ihm aufgesehen, um
seinen Rat, seine Hilfe gebeten hatte.
Natürlich hatte sie ihm auch früher schon mal die Haare gewaschen,
aber das war eher ein intimes Spiel gewesen, es war nicht aus einer
Abhängigkeit heraus passiert. Er hatte keine Hilfe beim Waschen oder Anziehen
gebraucht, seit er ein kleines Kind gewesen war.
Und genauso fühlte er sich jetzt. Alles, was er seit seiner Kindheit
erreicht hatte, war wie ausgelöscht. Er war wieder ein Kind.
Er sah, wie Lily neben der Wanne kniend seine Füße wusch, und hätte
am liebsten geheult.
Er war doch nicht ihr Kind. Er war ihr Mann!
Aber wie sollte er ihr Mann sein, wenn er sich überhaupt nicht mehr
wie ein Mann fühlte?
Lily konnte seine Anspannung spüren.
»Alles okay?«
»Das fühlt sich irgendwie … merkwürdig an.«
Sie setzte sich auf ihre Fersen und betrachtete ihn.
Dann nickte sie, stand auf und zog sich aus. Vorsichtig ließ sie sich
hinter ihm ins Badewasser gleiten und wusch ihm die Haare.
Liam schloss die Augen. Er genoss die sanft und liebevoll
massierenden Bewegungen ihrer Finger auf seiner Kopfhaut.
»Ich liebe dich«, flüsterte er heiser.
»Ich liebe dich auch …« Lily lächelte und legte seufzend die Wange
an seine Schulter. Dass ihm Tränen über das Gesicht liefen, konnte sie
natürlich nicht sehen.
Sie setzten sich vor das Haus in den Garten und sahen aufs
Meer hinaus. Händchen haltend genossen sie die Sonne, bis sie wieder hineingingen
und er sich hinlegte, um ein wenig zu schlafen. Dann las Lily ihm aus der
Zeitung vor.
Gegen Abend erhoben sie sich von dem Sofa in seinem Zimmer, und Lily
drehte die Musik leiser.
»Ich werde dann jetzt mal Abendessen machen. Möchtest du mir helfen?«
»Wie denn?«
»Na, eine Hand hast du doch zur Verfügung … Du könntest etwas
umrühren.« Sie zwinkerte ihm zu.
»Ach, wenn es dir nichts ausmacht, verzichte ich lieber.«
»Klar, kein Problem.«
»Würdest du mich vorher aber bitte in mein Arbeitszimmer bringen?«
»Sicher?«
Er nickte.
»Keine Sorge, ich will nicht arbeiten. Nur lesen.«
Zwanzig Minuten später rief sie aus der Küche, ob er eine
Tasse Tee wolle. Als sie keine Antwort bekam, brachte sie ihm einfach eine.
Als Lily mit je einer Teetasse in den Händen in der Tür stand und
sah, was er da vor sich auf dem Zeichentisch ausgebreitet hatte,
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