Das Rosenhaus
unbequeme Schweigen, das auf ihnen
lastete, ihnen die Luft abschnürte.
Lily war so unendlich erleichtert, Peters Auto vor dem Haus stehen
zu sehen, dass sie am liebsten geheult hätte. Sie schluckte die Tränen herunter
und zwang ein breites Lächeln in ihr Gesicht, als Peter auf sie zukam.
»Hey, Peter, wie geht’s dir?«, rief sie, zog die Handbremse an,
zerrte den Schlüssel aus dem Zündschloss und stürzte aus dem Wagen, kaum dass
er zum Stillstand gekommen war. Peter begrüßte sie mit einer herzlichen
Umarmung.
Liam saß immer noch auf dem Beifahrersitz seines großen
Geländewagens. Da sein Handgelenk zu schwach war, um sich längere Zeit auf
Krücken abstützen zu können, war er weiterhin auf den Rollstuhl angewiesen. Zum
Glück wog der nicht viel und war äußerst wendig. Das war nicht nur für Lily
wichtig, sondern auch für Liam selbst, der freudig überrascht festgestellt
hatte, dass er ihn im Erdgeschoss mit viel Geduld und Spucke sogar selbst
manövrieren konnte. Aber er begegnete dem Gerät noch immer mit einer Hassliebe.
In diesem Moment aber hasste er es, dass er nicht selbst aus dem Wagen aussteigen,
ins Haus gehen und sich in seinem Zimmer einschließen konnte, während diese
beiden Menschen, die sich um ihn kümmern sollten, sich aufführten, als sei er
überhaupt nicht vorhanden.
Doch dann sah Peter mit einem so vertrauten und ehrlichen Grinsen zu
ihm ins Auto und kam so forschen Schrittes um den Wagen herum auf ihn zu, dass
Liam wieder einmal ein schlechtes Gewissen bekam. Jetzt ging es ihm nur noch
schlechter. Ja, ihm war richtig übel.
Lily überließ es Peter, Liam aus dem Auto zu helfen, ging in die
Küche und setzte wie im Autopilot-Modus Wasser auf. Als die Handwerker da
gewesen waren, hatte sie den lieben langen Tag kaum etwas anderes getan als Tee
zu kochen und zu trinken. Früher hatte sie höchstens zwei, drei verschiedene
Teesorten im Haus gehabt. Jetzt konnte ihr Kühlschrank völlig leer sein, aber
in ihrem Küchenschrank reihte sich eine beeindruckende Auswahl erlesener Tees
aneinander. Sie hatte einen richtigen Tee-Spleen entwickelt. Sie stellte eine
Kanne mit drei Tassen auf ein Tablett und holte extra für Peter etwas Schokoladenkuchen
aus dem Vorratsschrank.
Sie waren in Liams Arbeitszimmer gelandet und redeten.
Beide verstummten, als Lily hereinkam, und sahen sie an. Peter
lächelte, als sie das Tablett abstellte. Liams Miene war weiterhin
verschlossen. Er rollte langsam los Richtung Tür.
Lily konnte sich beherrschen, bis er hinaus in den Flur gerollt war.
»Alles in Ordnung?«, fragte sie dann.
»Ich gehe aufs Klo«, gab er patzig zur Antwort.
Sie schickte sich an, ihm zu folgen.
»Was machst du?«, fragte er.
»Ich dachte, du bräuchtest vielleicht Hilfe.«
»Wobei denn? Willst du ihn für mich halten, oder was? Ob du’s
glaubst oder nicht, ich habe immer noch ein Glied,
das funktioniert, guck!« Er fuchtelte mit der linken Hand herum. »Siehst du?
Voll funktionstüchtig, genau wie mein Gehirn, und jetzt verzieh dich
gefälligst!«
Lily keuchte, als hätte er sie in den Magen geboxt. So hatte er noch
nie mit ihr geredet. In dem Ton. In der Lautstärke. Mit einer solchen
Verachtung.
»Liam …« Ihr kamen sofort die Tränen.
»Lass mich doch einfach nur verdammt noch mal in Ruhe, verstanden?
Lass mich in Ruhe!!!«, schrie er sie an.
Fassungslos stand sie da und sah ihn an, jegliche Farbe war aus
ihrem Gesicht gewichen. Dann drängte sie sich an ihm vorbei und rannte aus dem
Haus.
Sie schaffte es bis zum ins Dorf führenden Pfad.
»Lily. Lily! Warte …«
Nach Atem ringend holte Peter sie ein. Auch er war blass.
Lily blieb stehen, schlug die Hände vors Gesicht und fing
hemmungslos an zu weinen. Als Peter sie erreichte, zog er sie an sich, schlang
die Arme um sie und hielt sie dann so lange eng an sich gedrückt, bis das
Schluchzen nachgelassen und sie sich einigermaßen beruhigt hatte. Dann ließ er
sie los, strich ihr über das nasse Gesicht, küsste sie auf die Wangen, schüttelte
den Kopf und nahm sie so unendlich liebevoll wieder in den Arm, dass sie fast
einen weiteren Heulkrampf bekommen hätte.
»Es tut mir so leid, Peter …«, stammelte sie.
»Wie bitte? Was tut dir leid? Das war doch nicht deine Schuld! Liam
hatte da gerade einen Aussetzer, aber einen kompletten Aussetzer, Lily«,
versicherte er ihr, während sie sich die Nase putzte. »Und das habe ich ihm
auch gesagt. Komm jetzt.« Er nahm sie bei der Hand.
»Ich möchte nicht
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