Das Rosenhaus
war allerdings
dadurch behindert worden, dass Liam aufgrund der schweren Verletzung des
rechten Beines so gut wie keine Krankengymnastik hatte vertragen können.
Die Ärzte schätzten, dass es nach der zweiten Operation vier bis
sechs Monate dauern würde, bis sein gebrochener Oberschenkel ausgeheilt war,
und mindestens ein Jahr, bis das Bein seine alte Stärke wiedererlangt hatte.
Die Operation, bei der ein Titannagel und vier Schrauben eingesetzt worden
waren, hatte fast sechs Stunden gedauert. Sein Bein war danach von oben bis
unten blau gewesen, sein Knie war geschwollen und hatte sehr geschmerzt. Zwar
erlaubte der Zustand des Beines seine Entlassung, aber er würde sich alle zwei
Wochen zum Röntgen einfinden müssen. Und obwohl er den Gips an der rechten Hand
los war, musste er immer noch eine Schiene tragen, um das geschwächte
Handgelenk zu stützen. Darum kamen vorläufig auch keine Gehhilfen in Frage.
An der Tür zu seinem Zimmer blieb Lily stehen und sah schweigend zu,
wie Liz Liam beim Anziehen half.
»Lassen Sie, ich mach das schon.«
»Ich brauche kein verdammtes Kindermädchen, verstanden?«
»Was hat denn das mit Kindermädchen zu tun …?«
»Mag ja sein, dass ich jetzt ein Krüppel bin, aber schwachsinnig bin
ich deswegen nicht!«
»Ein Krüppel!«, echauffierte Liz sich. »Selbstmitleid, ick hör dir
trapsen! Soll ich Sie runter zur Kinderstation schieben? Da würden Sie sich für
solche Sprüche aber ganz schnell schämen, mein Lieber! Peinlich wären sie
Ihnen! Nein? Dachte ich es mir doch. So, und jetzt sehen Sie zu, dass Sie
fertig werden, Ihre wunderbare Frau kommt gleich und holt Sie ab. Zaubern Sie
sich ein Lächeln auf die Leichenbittermiene, und seien Sie dankbar, dass Sie
hier herauskommen, während ich bis zum Sankt Nimmerleinstag hier festsitze und
dazu verdammt bin, zahllose undankbare Patienten wie Sie zu versorgen … So, und
jetzt lassen Sie mich ohne weitere Widerrede Ihre Schuhe zubinden, sonst sage
ich den Ärzten, dass Sie auch einen Katheter brauchen …« Sie bückte sich und
band ihm die Schnürsenkel am linken Schuh zu. »So, schon fertig«, verkündete
sie und richtete sich wieder auf. »Und wehe, Sie tauchen jemals wieder auf
meiner Station auf, junger Mann«, warnte sie ihn mit einem Augenzwinkern.
Er sah sie an. Zuerst funkelten seine Augen wütend, doch dann besann
er sich eines Besseren, lächelte sie reumütig an und streckte den gesunden Arm
aus.
»Tut mir leid, Liz. Ich danke Ihnen. Für alles. Darf ich Sie in den
Arm nehmen?«
»Na, ich weiß ja nicht, ob Sie das verdient haben …«, zog sie ihn
auf.
»Meinen Sie nicht, dass man die Menschen eigentlich gerade dann in
den Arm nehmen sollte, wenn sie es nicht verdient haben?«, hielt er ausgefuchst
dagegen.
»Hm, da könnten Sie recht haben.« Liz lächelte und beugte sich zu
ihm herunter, damit sie einander umarmen konnten. Sie lösten sich erst wieder
voneinander, als von der Tür ein diskretes Hüsteln zu hören war.
»Na, sieht ja ganz so aus, als würde ich dich gerade rechtzeitig
nach Hause bringen …« Lily zwinkerte Liz zu.
»Na ja, du weißt ja, wie das so ist mit Patienten, die sich in ihre
Krankenschwestern verlieben«, lachte Liam, und Lily war froh, ihn so gelöst zu
sehen.
Aber das hielt nicht lange an.
Mit jedem Meter, den sie in Richtung Parkplatz zurücklegten, wo
Peter auf sie wartete, wurde Liam verschlossener. Erst schwieg er einfach nur,
dann beklagte er sich, wie unbequem der verdammte Rollstuhl sei.
Am Ausgang hielt ein junger Mann in blauer Krankengymnasten-Montur
Lily und dem im Rollstuhl zeternden Liam die Tür auf. Er sah vom wütenden Liam
zu Lily und lächelte. Nicht spöttisch, auch nicht mitleidig, sondern voller
Verständnis. Dieser Blick gab ihr genug Kraft, um Liam weiterschimpfen zu
lassen, ohne selbst aus der Ruhe zu geraten.
Als die Anwälte endlich ein konkretes Angebot für den
Schadensersatz vorgelegt hatten, staunte Lily über den Betrag. In ihrer
Bescheidenheit hatte sie ihn sogar ablehnen wollen, aber Peter griff ein und
erklärte ihr, die Summe sei gerade mal angemessen. Sie würden davon die
Umbauten am Haus und Liams weitere Behandlung bezahlen können und müssen, außerdem
musste auch sein Einkommensverlust ausgeglichen werden. Der Rest war
klassisches Schmerzensgeld. Wenn sie und Liam diesen Betrag nicht akzeptierten,
würde ihr Anwalt sogar noch mehr verlangen, klärte er sie auf.
»Und sollte dich das immer noch nicht überzeugen«, fügte
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