Das Rosenhaus
doch irgendwo schon mal gesehen?«
»Vielleicht unten am Strand?«
Lily war sich nicht sicher. Sie hatte sich sehr für die Surfer
interessiert, als sie endlich am Whitesands Beach aufgetaucht waren, und
empfand es als Wohltat, sie auf den Wellen reiten zu sehen. Und obwohl sie
ihnen nie wirklich nahe kam, kannte sie ihre Gesichter. Auch sein Gesicht
kannte sie, aber nicht vom Strand, da war sie sich relativ sicher.
»Kann schon sein, aber ich glaube nicht …«
»Ich jobbe hin und wieder bei der Surfschule. Und ab September mache
ich das letzte Jahr Sporttherapie an der Polytechnischen in Falmouth«, fügte er
hinzu, als ihre Augen sich weiter verengten. »Und ich habe gerade ein
sechswöchiges Praktikum in der Physiotherapie am Krankenhaus von Truro
gemacht.«
Jetzt erinnerte sie sich.
»Dann habe ich Sie da gesehen.« Lily freute sich, ihn einordnen zu
können. »Im Krankenhaus.«
Er war der junge Mann gewesen, der ihnen die Tür aufgehalten hatte,
als Liam entlassen wurde.
Sie erzählte ihm nicht, dass sein Lächeln an jenem Tag ihr das
flüchtige Gefühl gegeben hatte, dass sich alles zum Guten wenden könnte – es
erschien ihr jetzt wie schon damals irgendwie lächerlich. Doch sie nahm die
Wiederbegegnung als ein gutes Omen.
Auch jetzt lächelte er wieder und zeigte seine schönen weißen Zähne.
Er wirkte insgesamt so stabil und gesund. Er war wohl eins fünfundachtzig groß,
hatte breite Schultern und schmale Hüften, war gleichmäßig braun, hatte
strahlend blaue Augen und lockige, sonnengebleichte Haare, die ihm bis auf die
Schultern reichten. Vom Aussehen her wäre er glatt als amerikanischer Surfer
durchgegangen, doch sobald er den Mund aufmachte, konnte man hören, dass er aus
dieser Gegend stammte.
Sie ertappte sich dabei, wie sie ihn anglotzte, und trat schnell
einen Schritt beiseite, um ihn hereinzulassen.
»Kommen Sie doch bitte herein. Mein Mann Liam ist gerade in seinem
Arbeitszimmer. Ich dachte, vielleicht könnten wir beiden ein paar Takte
miteinander reden, bevor Sie sich ihm vorstellen, wenn Sie nichts dagegen
haben?«
Er zuckte mit den Schultern, als wolle er sagen »Was soll ich schon
dagegen haben?«, und Lily ging in die Küche voraus, wo sie ihm bedeutete, sich
an den Tisch zu setzen. »Mir wurde geraten, Ihnen ein paar Fragen zu stellen«,
verriet sie ihm mit entwaffnender Naivität. »Okay?«
Er nickte.
»Gut. Die erste ist ganz einfach: Tee oder Kaffee?«
»Tee bitte, mit drei Stück Zucker.«
»Handwerkertee«, sagte sie lächelnd.
Sie bereitete ihnen beiden eine Tasse zu und setzte sich dann ihm
gegenüber an den Tisch.
»Erzählen Sie noch etwas mehr von sich; was Sie gerade so treiben …«
»Also, im Moment sammle ich praktische Erfahrung. Eigentlich wollte
ich ja nächsten Montag in einem Pflegeheim in Penzance ein Praktikum antreten,
aber als Duncan anrief und mir von Mr. Bonner erzählte … Na ja – jetzt bin ich
hier!«
»Woher kennen Sie denn Duncan Corday?«
»Ach, wir sind irgendwie verwandt, aber zum Glück nur über diverse
Ecken … Seine Kinder sind meine Vettern und Cousinen zweiten Grades oder so.
Die Verwandtschaft ist nah genug, um mich zu bestimmten Festen einzuladen und
mir Weihnachtskarten zu schicken, aber entfernt genug, um sie nicht jedem auf
die Nase binden zu müssen.«
Er konnte ihr ansehen, dass sein Geständnis sie beruhigte, und
grinste sie breit an.
»Sie sind wohl auch nicht gerade der größte Fan von Onkel Dunc,
was?«, fragte er sie rundheraus.
»Ach, ich kenne ihn ja kaum«, antwortete sie äußerst diplomatisch,
was sein Lächeln noch breiter werden ließ.
»Welche Musik hören Sie gerne?«, wechselte Lily schnell das Thema.
»Welche Musik ich gerne höre?« Die Frage überraschte ihn.
»Ich frage, weil ich nicht möchte, dass Sie und Liam sich
gegenseitig wahnsinnig machen. Liam hört nämlich den ganzen Tag lang Musik. Das
ist so sein ›Ding‹. Er mag
Genesis, The Who, Yes, Phil Collins, U2, Queen … Und was er gar nicht
abkann, sind Boygroups und Folk. Wenn Sie sich also jetzt als großer Blues- und
Steeleye-Span-Fan outen würden, wäre das Desaster gewissermaßen vorprogrammiert
…«
»U2 ist die beste Band der Welt, und Phil Collins ist ein Heiliger,
obwohl mir sein letztes Album ein bisschen zu soft war. Auf Boygroups kann ich
gut verzichten, und obwohl ich Folk gar nicht schlecht finde, bin ich ganz
bestimmt kein verkappter Morris-Tänzer.«
»Na, dann ist ja gut.« Sie war immer noch nervös und
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