Das Rosie-Projekt
rational geklungen. Jetzt hob sie die Stimme.
»Seit zwei Jahren versuche ich, die medizinische Fakultät zur Finanzierung eines gemeinsamen Projekts zu bewegen – und Sie verhalten sich nicht nur ausgesprochen unethisch, sondern tun das auch noch bei dem Mann, der die Fäden in der Hand hält. Ich verlange einen schriftlichen Bericht. Wenn er keine Zustimmung der Ethikkommission enthält, die ich aus irgendeinem Grund noch nicht gesehen habe, werde ich Ihre Stelle neu ausschreiben.«
An der Tür blieb die Dekanin noch einmal stehen.
»Wegen Ihrer Beschwerde über Kevin Yu habe ich noch nichts unternommen. Vielleicht möchten Sie noch einmal darüber nachdenken. Und ich hätte gern Ihren Laborschlüssel. Danke.«
Das Vaterprojekt war offiziell vorbei.
Als Gene am nächsten Tag in mein Büro kam, füllte ich gerade einen EPDS -Fragebogen aus.
»Geht es dir gut?«, wollte er wissen. Die Frage kam zur rechten Zeit.
»Ich vermute, nein. In etwa fünfzehn Sekunden werde ich es dir genau sagen können.« Ich beendete den Fragebogen, berechnete das Ergebnis und reichte es an Gene weiter. »Sechzehn«, sagte ich. »Der zweithöchste Wert, den ich je hatte.«
Gene musterte das Blatt. »
Edinburgher Postnatale Depressionsskala.
Muss ich darauf hinweisen, dass du nicht gerade ein Baby bekommen hast?«
»Die Fragen, die mit Babys zu tun haben, beantworte ich nicht. Es war die einzige Testmethode für Depression, die Claudia zu Hand hatte, als meine Schwester starb. Ich benutze sie hin und wieder zur Kontinuitätsprüfung.«
»Das entspricht wohl dem, was wir ›in sich hineinfühlen‹ nennen, oder?«, fragte Gene.
Ich spürte, dass die Frage rhetorisch gemeint war, und antwortete nicht.
»Hör zu«, sagte er, »ich glaube, ich kann dir helfen.«
»Hast du was von Rosie gehört?«
»Du meine Güte, Don!«, sagte Gene. »Nein, ich habe etwas von der
Dekanin
gehört. Ich weiß nicht, was du da veranstaltet hast, aber DNA zu testen ohne Zustimmung der Ethikkommission … das bedeutet ›Game over‹.«
Das war mir klar. Ich hatte beschlossen, Amghad, den Boss des Golfclub-Restaurants, anzurufen und ihm für die Cocktailbargeschichte zuzusagen. Es schien an der Zeit, etwas anderes zu machen. Das Wochenende hatte mir in vielerlei Hinsicht ein böses Erwachen beschert. Nach dem Zusammentreffen mit der Dekanin war ich nach Hause gefahren und hatte einen Fragebogen des Ehefrauprojekts gefunden, den meine Putzhilfe Eva ausgefüllt hatte. Obenauf stand: »Don. Niemand ist perfekt. Eva.« In meinem Zustand erhöhter Verletzlichkeit hatte mich das tief getroffen. Eva war ein guter Mensch, deren kurze Röcke vielleicht darauf abzielten, einen Partner zu finden, und die sich vielleicht für ihren relativ geringen sozioökonomischen Status geschämt hatte, als sie Fragen zum weiterführenden Studium oder der Beurteilung von teurem Essen hatte beantworten müssen. Ich dachte an alle Frauen, die meinen Fragebogen ausgefüllt hatten in der Hoffnung, einen Partner zu finden – in der Hoffnung,
mich
als Partner zu finden, obwohl sie mich kaum oder gar nicht kannten und vermutlich enttäuscht gewesen wären, wenn sie mich kennengelernt hätten.
Ich hatte mir ein Glas Pinot Noir eingeschenkt und war auf den Balkon getreten. Die Lichter der Stadt erinnerten mich an das Hummeressen mit Rosie, das im Gegensatz zu dem, was der Fragebogen ausgesagt hätte, eines der vergnüglichsten Essen meines Lebens gewesen war. Claudia hatte bemängelt, ich sei zu wählerisch, aber in New York hatte Rosie mir gezeigt, dass meine Einschätzung darüber, was mich glücklich macht, vollkommen falsch war. Ich nippte hin und wieder am Wein und beobachtete, wie sich die Aussicht veränderte. Ein Fenster wurde dunkel, eine Ampel wechselte von Rot auf Grün, das Blaulicht eines Krankenwagens reflektierte von Häuserwänden. Und da dämmerte mir, dass ich den Fragebogen nicht entworfen hatte, um eine Frau zu finden, die ich akzeptieren könnte, sondern jemanden, der mich akzeptiert.
Unabhängig von den Entscheidungen, die ich nach den Erlebnissen mit Rosie träfe, würde ich den Fragebogen nie wieder verwenden. Das Projekt Ehefrau war erledigt.
Gene war noch nicht fertig. »Kein Job, keine Struktur, kein Terminplan. Du wirst vor die Hunde gehen.« Er blickte wieder auf den Depressions-Fragebogen. »Du gehst jetzt schon vor die Hunde. Hör zu, ich werde sagen, dass es ein Projekt der Psychologie-Abteilung war. Wir erfinden noch einen Antrag für die
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