Das Rosie-Projekt
Gene dachte, ich wolle etwas vor ihm verbergen, was natürlich stimmte. Plötzlich sah Gene über meine Schulter zur Servicetheke hinüber.
»O Gott«, sagte er.
Ich drehte mich um, und Gene schnappte sich den Ordner und lachte.
»Das ist privat«, protestierte ich, doch Gene hatte ihn schon geöffnet. Das Foto der Abschlussklasse klemmte obenauf.
Gene schien ehrlich überrascht. »Mein Gott! Wo hast du das denn her?« Er betrachtete das Foto eingehend. »Das muss dreißig Jahre alt sein. Was sollen diese ganzen Notizen?«
»Ich organisiere eine Wiedersehensfeier«, erwiderte ich. »Um einem Freund zu helfen. Das ist schon Wochen her.« In Anbetracht der kurzen Zeit, die mir blieb, war es eine gute Antwort, aber sie barg einen großen Fehler. Gene entdeckte ihn sofort.
»Einem Freund? Richtig … einem deiner vielen Freunde. Du hättest mich auch einladen sollen.«
»Warum?«
»Wer, denkst du, hat das Foto gemacht?«
Natürlich! Irgendjemand war nötig gewesen, um das Foto aufzunehmen. Ich war zu verblüfft, um sprechen zu können.
»Ich war der Einzige, der nicht dazugehörte«, fuhr Gene fort. »Als Tutor für Genetik. Eine großartige Feier – alle betrunken, alle unverheiratet. Der heißeste Tipp zu damaliger Zeit.«
Gene deutete auf ein Gesicht. Ich hatte mich immer auf die Männer konzentriert und nie nach Rosies Mutter gesucht. Nun aber, da Gene auf sie zeigte, war sie leicht zu erkennen. Die Ähnlichkeit war offensichtlich, einschließlich des roten Haars, auch wenn die Farbe weniger dramatisch hervorstach als bei Rosie. Sie stand zwischen Isaac Esler und Geoffrey Case. Wie auf Isaac Eslers Hochzeitsfoto trug Geoffrey ein breites Grinsen im Gesicht.
»Bernadette O’Connor.« Gene trank einen Schluck Wein. »Irin.«
Diesen Tonfall kannte ich. Es gab einen Grund, warum er sich an diese spezielle Frau erinnerte, und der bestand nicht darin, dass sie Rosies Mutter war. Tatsächlich schien er von dieser Verbindung gar nichts zu wissen, und ich entschied spontan, es ihm auch nicht zu sagen.
Sein Finger wanderte nach links.
»Geoffrey Case. Hat das viele Geld für seine Ausbildung nicht wieder eingespielt.«
»Er ist gestorben, stimmt’s?«
»Selbstmord.«
Das war neu. »Bist du sicher?«
»Natürlich bin ich sicher«, sagte Gene. »Komm schon, worum geht’s hier?«
Ich ignorierte die Frage. »Was hat er gemacht?«
»Wahrscheinlich vergessen, sein Lithium zu nehmen«, sagte Gene. »Er litt unter einer bipolaren Störung. An guten Tagen war das Leben für ihn eine Party.« Er sah mich an. Ich nahm an, er werde jetzt nach dem Grund fragen, warum ich mich für Geoffrey Case und die Wiedersehensfeier interessierte, und suchte schon verzweifelt nach einer plausiblen Erklärung. Doch eine leere Pfeffermühle rettete mich. Gene drehte daran und stand auf, um sie auszutauschen. Bevor er zurückkehrte, benutzte ich eine Serviette, um einen Abstrich von seinem Weinglas zu nehmen.
29
Am Samstagmorgen radelte ich mit einem nicht identifizierbaren und daher beunruhigenden Gefühl zur Universität. Die Dinge hatten sich wieder normalisiert. Mit der heutigen Testreihe wäre das Vaterprojekt beendet. Schlimmstenfalls würde Rosie noch jemanden entdecken, den wir übersehen hatten – einen weiteren Tutor oder Kellner oder jemanden, der die Party früh verlassen hatte –, aber ein einzelner zusätzlicher Test würde nicht viel Zeit in Anspruch nehmen. Und ich hätte keinen Grund mehr, Rosie wiederzusehen.
Wir trafen uns am Labor. Drei Proben mussten getestet werden: der Abstrich von Isaac Eslers Gabel, die Urinprobe auf Toilettenpapier von Freybergs Badezimmerboden und die Serviette mit Genes Weinglasabstrich. Ich hatte Rosie nichts vom Taschentuch mit Margaret Cases Tränen erzählt, war aber besonders gespannt auf Genes Probe. Die Wahrscheinlichkeit, dass er Rosies Vater war, lag hoch. Ich versuchte, nicht darüber nachzudenken, aber Genes Reaktion auf das Foto, seine Kenntnis von Rosies Mutter und sein Hang zu sexuellen Abenteuern waren handfeste Hinweise.
»Was ist das für eine Serviette?«, wollte Rosie wissen.
Diese Frage hatte ich erwartet.
»Eine Testwiederholung. Eine der früheren Proben war verunreinigt.«
Meine wachsende Fähigkeit zu lügen reichte nicht aus, um Rosie zu täuschen. »Blödsinn. Wer ist es? Case, oder? Du hast eine Probe von Geoffrey Case.«
Es wäre einfach gewesen, ja zu sagen, aber die Probe Case zuzuschreiben, würde große Verwirrung stiften, wenn sie positiv
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