Das rote Band
Gemurmel begann im Saal, und auch Joanna hob verwundert über Jakes Ankündigung den Kopf. Ihr Bruder hatte ihr diesbezüglich nichts mitgeteilt.
„Da Ian noch längere Zeit brauchen wird, um vollständig zu genesen, wird das Amt des Fechtmeisters an Lord Samuel of Redcliff übergehen“, fuhr Jake fort. „Dies ist auch in Ians Interesse, da er sich nach eigenem Bekunden den Aufgaben eines Fechtmeisters nicht gewachsen fühlt. Sobald er wieder gesund ist, wird er unter Aufsicht von Lord Redcliff als Waffenwart in der Akademie weiterarbeiten.“
Bevor Joanna es verhindern konnte, war Ian neben ihr vom Stuhl aufgesprungen. „Verdammt, Jake, was soll das?“, rief er wütend über die Köpfe aller Anwesenden hinweg. „Das war so nicht abgesprochen!“
Einen Moment sah Jake Ian überrascht an, dann erklärt er kalt: „Ich bin der Earl und Leiter dieser Akademie. Ich treffe die Entscheidungen und bin dir keine Rechenschaft schuldig!“
„Natürlich, Mylord !“ Ians Hände ballten sich zu Fäusten. „Nichts anderes bin ich von dir gewohnt.“
Auf Jakes Stirn bildete sich eine steile Falte, und seine Stimme wurde gefährlich leise. „Deinen zynischen Unterton kannst du dir sparen! Du weißt, was du zu tun hast, wenn dir meine Anweisungen nicht gefallen!“
„Ja, ich werde gehen“, rief Ian und trat aus der Stuhlreihe hervor. „Vorher aber habe ich noch etwas zu erledigen!“ Er lief zum Ausgang und kurz darauf fiel die Tür des Festsaals mit einem lauten Krachen ins Schloss.
Joanna, die ebenfalls aufgesprungen war, sah wie alle anderen schockiert auf die Tür, die immer noch in den Angeln zitterte. Sie war wie gelähmt. Das, was sie immer gefürchtet hatte, war eingetreten: der endgültige Bruch zwischen Ian und Jake.
„Komm, Joanna, wir müssen Ian hinterher!“, hörte sie plötzlich Galads Stimme an ihrem Ohr. Er war mit zornigem Gesichtsausdruck neben ihr aufgetaucht, und bevor sie etwas erwidern konnte, zog er sie mit sich zur Tür. „Ich wusste nichts von Jakes Vorhaben“, erklärte er verärgert, „und du scheinbar auch nicht.“
Kaum hatten sie den Festsaal verlassen, begann Galad zu rennen, und Joanna raffte ihre Röcke hoch und folgte ihm so schnell wie möglich. Auf Höhe der Apotheke sahen sie Ian laufen.
„Ian, warte!“, rief Galad. Er eilte zu ihm und packte ihn am Arm. „Wo willst du hin?“
Ian blieb stehen. „Ein letztes Wort mit Jake wechseln!“, erwiderte er aufgebracht.
„Dann gehst du aber in die falsche Richtung“, wandte Galad ein, „Jake ist immer noch im Festsaal.“
„Ich weiß“, knurrte Ian. „Ich will für dieses Gespräch auch nur mein Schwert holen. Und danach verlassen Joanna und ich Greystone.“
„Nein! Hör mir zu!“ Galad verstärkte seinen Griff, doch Ian riss sich wütend von ihm los.
„Meine Geduld mit Jake ist am Ende, Galad!“, rief er. „Und schlag mir jetzt bloß nicht vor, ich solle in mein Zimmer gehen und mich beruhigen.“
„Ich habe eine bessere Idee“, erklärte Galad rasch. „Du verlässt die Burg sofort.“
„Einfach weglaufen?“ Finster blickte Ian ihn an und schüttelte heftig den Kopf. „So leicht mache ich es Jake nicht.“
„Ich rede nicht vom Weglaufen. Du sollst dich verstecken.“
„Verstecken? Mit Joanna?“ Verständnislos blickte Ian Galad an, und auch Joanna, die inzwischen herangekommen war, betrachtete den jungen Lehrer verwirrt.
Dieser schüttelte den Kopf. „Nein, Joanna bleibt hier.“
„Verdammt, Galad“, rief Ian erbost, „ich dachte, du wärst mein Freund!“
„Das bin ich auch. Aber, wenn Joanna mit dir ginge, würde Jake euch auf jeden Fall zurückholen, doch an der Beziehung zwischen dir und ihm würde sich nichts ändern.“
„Aha“, Ian verzog spöttisch das Gesicht. „Ich gehe, Joanna bleibt. Wunderbar! Damit hat Jake alles, was er will.“
„Ian, vertrau mir“, bat Galad. „Ich habe einen Plan. Jake wird dich zurückholen, um deinetwillen.“
„Jake wird mich vergessen, in dem Augenblick, in dem ich die Burg verlasse“, widersprach Ian. „Ich bin für ihn ein Störenfried.“
„So sieht es im Moment aus“, gab Galad zu. „Es wird einige Zeit brauchen, bis Jake merkt, wie wichtig du für ihn bist. Aber in diesen Wochen kannst du dich körperlich wieder erholen. Ich hätte ein perfektes Versteck für dich.“
„Wochen? Wochen, in denen ich Joanna nicht sehen kann?“, fragte Ian. „Damit Samuel sie auf der Stelle ehelicht?“
„Ian, da habe ich wohl auch noch ein
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