Das rote Band
jetzt entdeckte er Joanna, die zusammengerollt auf einem Bett lag und nun die Augen öffnete.
Sie sprang auf, lief auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Stirn. „Das Fieber ist weg!“, rief sie. Unglaubliche Erleichterung stand ihr ins Gesicht geschrieben.
Er lächelte. „Gibst du mir etwas zu trinken?“ Sie reichte ihm den Becher, und er trank ihn gierig aus. Dann sah er sie ernst an. „Wie lange?“
„Zwölf Tage“, antwortete sie. „Ich habe mir schreckliche Sorgen um dich gemacht!“
Statt einer Antwort griff er nach ihrer Hand und zog sie zu sich hinunter.
In diesem Moment öffnete sich die Tür des Krankenzimmers, und Galad trat ein. „Ian, wie gut, du weilst wieder unter den Lebenden!“, rief er und kam zu ihm ans Bett. „Schön, dich gesund wieder zu haben. Obwohl, ein bisschen schade ist es schon, dass ich nun nicht mehr die Umschläge wechseln darf.“ Bekümmert sah er Ian an und strich mit dem Finger über dessen Hals zur Brust. „Es war immer ein sehr schöner Anblick.“ Er seufzte genießerisch.
Entgeistert starrte Ian ihn an, und Galad lachte laut.
„Ach, Ian, das war nur ein Scherz!“ Er grinste. „Joanna hat mich stets mit Argusaugen beobachtet. Beim geringsten Verdacht, dass ich nicht nur aus reiner Nächstenliebe zu dir handele, hätte sie mich einen Kopf kürzer gemacht. Und wenn einer die Krankenpflege ausgenutzt hat, um deinen durchtrainierten Körper zu bewundern, dann höchstens Eloïse.“
Ian stöhnte auf. „Sag, Joanna, wen hast du noch an mich rangelassen?“
„Mach ihr keinen Vorwurf“, antwortete Galad, ehe Joanna etwas erwidern konnte. „Sie hat fast unablässig an deinem Bett gewacht. Wir mussten mit Engelszungen auf sie einreden, damit sie wenigstens ihren Unterricht gehalten hat.“ Er legte Joanna die Hand auf die Schulter. „Du kannst sehr stolz auf sie sein, Ian. Und, bevor es noch mehr Missverständnisse gibt, gehe ich in die große Halle hinunter und verkünde die frohe Botschaft ... deine Genesung.“ Galad ging zur Tür, drehte sich allerdings noch einmal um, bevor er das Zimmer verließ. „Was immer ihr jetzt tut, wenn ihr alleine seid, beeilt euch! Denn bald wird sich Ian vor Besuchern nicht mehr retten können.“
Galads Vorhersage erwies sich als richtig. Kurze Zeit später flog die Tür auf, und Eloïse kam ins Zimmer gerannt. Statt einer Begrüßung schlang die junge Frau ihre Arme um Ians Hals. „Du hast dir schrecklich viel Zeit gelassen mit dem gesund werden!“, beschwerte sie sich.
„Er wird noch viel länger brauchen, wenn du ihn erwürgst“, sagte Victorian von der Tür her.
Joanna horchte verwundert auf. Schwang da ein Hauch von Eifersucht in der Stimme des jungen Lords mit? Doch sein Gesicht war emotionslos wie immer.
„Victorian hat recht!“ Ian klopfte Eloïse auf den Rücken. „Ich bekomme wirklich kaum noch Luft.“
Eloïse lachte und ließ ihn los.
„Schön, dass ihr vorbeiseht“, sagte Ian. Dann fiel ihm etwas ein. „Wer unterrichtet euch eigentlich im Fechten? Lord Redcliff?“
Victorian, der näher gekommen war, verzog den Mund. „Unterrichten ist vielleicht nicht das richtige Wort“, antwortete er.
„Er liest einfach nur deine Aufzeichnungen laut vor, Ian“, erklärte Eloïse. „Ich mag ihn nicht.“
Ian lächelte. „Das ist egal. Die Zwischenprüfung ist nicht mehr weit.“
„Das stimmt.“ Eloïse seufzte. „Aber du bist mir als Fechtmeister tausendmal lieber als er.“
Ian lachte. „Ich werde dich an diese Worte erinnern, wenn du mich wieder verfluchst, weil mein Training angeblich so anstrengend ist.“
„So, genug der Späße!“, sagte Joanna und scheuchte Eloïse und Victorian aus dem Zimmer. „Ihr beide habt Unterricht, und Ian hat sicher Hunger.“
„Jetzt, wo du es sagst, ist mir wirklich ein bisschen flau im Magen“, erwiderte er. „Ich hätte Appetit auf einen schönen Schinken.“
„Schinken?“ Joanna sah ihn streng an. „Du hast fast zwei Wochen nichts zu dir genommen. Wir beginnen mit einer dünnen Suppe.“
Ian verzog das Gesicht.
„Wir bringen dir nachher einen Schinken vorbei“, sagte Eloïse. „Heimlich, natürlich.“
Joanna warf ihr einen strafenden Blick zu, und die junge Frau beeilte sich, die Tür hinter sich zuzuziehen.
In den nächsten Stunden steckten immer wieder Burgbewohner den Kopf ins Krankenzimmer, um Ian zu begrüßen. Doch Joanna schickte alle gleich wieder fort, da er ihrer Ansicht nach noch zu schwach für Besuche war. Tatsächlich
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