Das rote Band
Wörtchen mitzureden“, warf Joanna ein. „Bitte lass Galad aussprechen.“
Erschöpft lehnte sich Ian an die Wand und blickte Galad an. „Wo?“
„In der Mühle am Fluss.“
Ian verschränkte die Arme vor der Brust. „Jake wird niemals seine Meinung ändern.“
„Das hast du schon mal gesagt“, erinnerte ihn Galad. „Und jetzt bist du Fechtmeister.“
„Ich war der Fechtmeister“, korrigierte ihn Ian bitter. „Jetzt bin ich nur noch Samuels Laufbursche!“
„Für mich und alle anderen bist und bleibst du der Fechtmeister.“ Galad trat auf Ian zu und fasste ihn an der Schulter. „Ich weiß, was ich tue, Ian“, sagte er beschwörend. „Bitte vertrau mir.“
Ian sah zu Joanna hin, die zögernd nickte.
„Ich gebe Jake vier Wochen, Galad“, erklärte Ian. „Dann komme ich und hole Joanna, und wir gehen für immer – ob es dir passt oder nicht.“
Als Galad weit nach Mitternacht in sein Studierzimmer zurückkehrte, wunderte es ihn nicht, neben Joanna dort auch Eloïse vorzufinden. Die beiden jungen Frauen saßen in den Sesseln am Kamin und waren eingeschlafen. Er lächelte, trat an seinen Schreibtisch und legte Ians Unterrichtsnotizen, die er aus der Waffenhalle geholt hatte, in eine Schublade. Dann trat er zu Joanna und Eloïse und weckte sie vorsichtig.
„Wie geht es jetzt weiter?“, fragte Joanna und rieb sich die Augen. „Ich habe mit Jake gesprochen, aber er will seine Entscheidung nicht zurücknehmen. Dass Ian Greystone verlassen hat, habe ich ihm noch nicht gesagt.“
„Gut“, erwiderte Galad. „Das soll er selbst merken.“
„Und was ist mit Lord Redcliff, unserem neuen Fechtmeister?“, wollte Eloïse wissen. „Wir könnten uns seinem Unterricht verweigern.“
„Nein“, antwortete Galad. „Wir müssen es geschickter angehen.“
„ Wir , Lord Lionsbridge?“ Eloïse grinste. „Ich wusste gar nicht, dass Ihr Lord Redcliff auch nicht leiden könnt.“
„Sagen wir, ich habe eine Art Wette mit ihm laufen, die ich gerne gewinnen möchte“, erklärte er.
„Und was sollen wir jetzt genau mit Jake und Samuel tun?“, fragte Joanna ungeduldig.
Galad ließ sich auf einem Sessel nieder und sah die beiden Frauen verschwörerisch an. „Wir werden sie mit ihren eigenen Waffen schlagen.“
20
Greystone, November
Samuel war sehr zufrieden, als er am nächsten Morgen erwachte. Die Dinge entwickelten sich besser, als er je gedacht hatte. Gemächlich stand er auf, zog die Vorhänge beiseite und betrachtete den Stand der Sonne. Es war später, als er vermutet hatte. Er würde zu seiner ersten Stunde als Fechtmeister von Greystone nicht rechtzeitig kommen, aber das machte nichts. Die Studenten hatten bestimmt – wie immer – schon alleine angefangen. Trotzdem musste er das Frühstück ausfallen lassen, was ihn ärgerte.
Wenig später betrat er die Waffenhalle und blieb verwundert stehen. Die jungen Männer und Eloïse saßen auf der Tribüne und unterhielten sich.
„Guten Morgen!“, rief Samuel. „Wieso trainiert Ihr nicht?“
Einer der Studenten, Victorian, erhob sich. „Mylord, bisher haben wir so geübt, wie der alte Fechtmeister es wünschte. Jetzt aber erwarten wir Eure Anweisungen.“
Samuel war verwirrt. War das eine Falle? Aber nein, der junge Lord Walraven neigte nicht zu Scherzen. „Ja, richtig“, erwiderte Samuel und sah Hilfe suchend in die Ecke, in der Ians Schreibtisch stand. Sie war leer!
Victorian folgte seinem Blick. „Ians Sachen wurden entfernt und die Papiere vernichtet. Ihr seid in keinster Weise mehr verpflichtet, sein Konzept – wenn man es überhaupt so nennen konnte – weiterzuführen.“
Samuel nickte. Was sollte er nur jetzt mit ihnen machen? Seine Behauptung Jake gegenüber, er hätte Soldaten trainiert, war eine glatte Lüge gewesen. „Wir beginnen mit … äh … mit einem Turnier zum Erstellen einer Rangfolge.“ Das war gut und verschaffte ihm Zeit zum Nachdenken. „Jeder gegen jeden. Stellt Euch paarweise auf.“
Alle gehorchten, und Samuel atmete erleichtert auf. Dann fiel sein Blick auf Eloïse. „Nein, Ihr nicht, Eloïse!“
„Was soll ich stattdessen tun?“, fragte die junge Frau erwartungsvoll.
„Die Halle verlassen!“, antwortete er. „Victorian hat recht. Ab jetzt weht ein anderer Wind! Und Frauen kann ich dabei nicht gebrauchen.“
„Aber ich muss üben!“, rief Eloïse und sah ihn aus großen Augen verzweifelt an. „Ich muss die Zwischenprüfung bestehen, sonst muss ich die Akademie
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