Das rote Band
es an Eloïses Tür, und eine Kammerzofe trat herein. „Ich soll Euch beim Ankleiden zur Hand gehen und Euch bei Euren Haaren helfen, Mylady“, erklärte sie ihre Anwesenheit.
Eloïse hätte trotz ihrer Verzweiflung fast aufgelacht. Bei ihren Haaren konnte ihr niemand helfen, außer er könnte zaubern, denn sie hingen wie immer formlos in ihr Gesicht. Sie schniefte und wischte sich über die Augen, bevor sie die Hilfe der Dienerin annahm. Wenigstens ihr Äußeres konnte sie in einen repräsentablen Zustand verwandeln, auch wenn ihr Innerstes in Scherben lag.
Eine Weile danach betrachtete Eloïse das Werk der Zofe im Spiegel. Sie trug ein elegantes Reisekostüm – ein Geschenk des Hauses Walraven, wie die Dienerin sie hatte wissen lassen, dezente Schminke, und die Haare waren durch einen Reifen gebändigt. Nur ihre geröteten Augen passten nicht zu dem ansehnlichen Gesamteindruck. Eloïse bedankte sich bei der Zofe und wappnete sich, gleich Victorian gegenübertreten zu müssen.
Kurze Zeit später öffnete sich die Tür, und Victorian trat in den Raum, kostbar und sorgfältig gekleidet, ein absoluter Gegensatz zu seinem Piratenkostüm am Vorabend. Bei seinem Anblick kämpfte Eloïse erneut mit den Tränen, aber sie wollte sich nicht schon wieder die Blöße geben, vor ihm zu weinen. So hob sie den Kopf und machte tapfer einen Schritt auf ihn zu. Victorian nickte ihr wortlos zu und bot ihr seinen Arm zum Geleit. Doch Eloïse nahm ihn nicht an, sondern ging demonstrativ an ihm vorbei. Mit einem leisen Seufzen folgte ihr Victorian aus dem Zimmer heraus.
Den langen Weg durch die Flure des Schlosses legten sie schweigend zurück. Nach einiger Zeit erreichten sie die verschwenderisch ausgestattete Halle, wo der Duke bereits an der üppig gedeckten Frühstückstafel saß. Eloïse stöhnte lautlos. Maximilian of Walraven, Victorians Vater, hatte sie vollkommen vergessen!
Der Duke, ein bärtiger Mann mit blauen Augen, stand bei ihrem Eintreten vom Kopfende der Tafel auf und richtete gleich das Wort an sie: „Lady Eloïse, wie schön Euch zu sehen. Da wir gestern nicht die Möglichkeit hatten, uns näher kennenzulernen, möchte ich das heute unbedingt nachholen.“ Er lächelte sie auf undurchdringliche Weise an und bedeutete ihr mit seiner Hand, neben ihm Platz zu nehmen. Ein Diener schob ihr den Stuhl zurecht, und Victorian ließ sich ihr gegenüber am Tisch nieder. „Erzählt mir über Eure Familie“, forderte der Duke sie auf. „Euer Vater bekleidet den Rang eines …?“
„Barons“, antwortete Eloïse. „Er ist der Lord of Coldhill, Mylord.“
Der Duke verzog das Gesicht. „Davon habe ich noch nie gehört. Wo liegt Euer Besitz?“
„Wir wohnen im Norden, am Fuße des Parnea-Gebirges“, erklärte Eloïse.
„Ein öder Landstrich.“ Der Duke neigte den Kopf und betrachtete sie näher. „Warum tragt Ihr Euer Haar so kurz? Ist das Mode im Norden – oder in Greystone?“
„Weder noch“, antwortete Eloïse, der die herablassende Art des Dukes missfiel. Sie blickte Victorian an, doch er starrte das Essen auf seinem Teller an. Er würde ihr nicht gegen seinen Vater beistehen. „Ich habe mich unter dem Namen meines Bruders in der Akademie angemeldet, um mehr über Ackerbau und neues Saatgut zu erfahren. Wie Ihr sagtet, der Boden im Gebirge ist karg, und mein Bruder ist zu krank, um selbst nach Greystone zu gehen.“ Sie hoffte inständig, die Wahrheit würde die Neugier des Dukes befriedigen. Doch scheinbar war sein Interesse jetzt noch mehr angestachelt.
„Ihr habt Euch als Mann ausgegeben?“ Er lachte auf. „Was für ein lächerlicher Haufen in Greystone! Der Earl teilt sein Bett mit Männern, seine Schwester hat ein Verhältnis mit einem Ehrlosen und dann noch eine als Bursche verkleidete Frau. Es wird dringend Zeit, dass König Theodoric diesen unmoralischen Zuständen ein Ende setzt.“
Eloïses Finger schlossen sich fest um ihr Besteck. Die überheblichen Worte des Dukes sorgten dafür, dass ihr Schmerz für einen Moment von Ärger überdeckt wurde „Wenn Euch die Verhältnisse in Greystone nicht gefallen, warum habt Ihr dann Euren Sohn dort hingeschickt?“
„Eine gute Frage, Lady Eloïse, oder ist euch Lord als Anrede lieber?“, erwiderte er spöttisch. „Victorian durfte gehen, weil mein Freund, der Marquess of Upperlake, seinen Sohn ebenfalls dort hingeschickt hat. Upperlake war überzeugt, der neue Fechtmeister von Greystone könne seinem Sohn helfen, seine Fähigkeiten im
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