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Das rote Band

Das rote Band

Titel: Das rote Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dana Graham
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Winterprinzessin, hast du Hunger?“, fragte er fröhlich.
    Eloïse nickte, froh, dass er sich wieder verhielt wie immer. Trotzdem gingen ihr seine Worte nicht aus dem Kopf. Victorian schien sein Verhalten mittlerweile peinlich zu sein, denn während sie aß, zählte er ihr ununterbrochen die Namen und Titel aller Gäste auf.
    „Victorian, es reicht!“, rief Eloïse nach einiger Zeit. „Mir brummt schon der Kopf, und ich kann mir sowieso nicht alle Namen und Gesichter merken.“
    Augenblicklich verfiel er wieder in Schweigen.
    Langsam wurden ihr seine Verhaltensextreme wirklich unheimlich! „Möchtest du mit mir tanzen?“, fragte sie schließlich, weil sie nicht wusste, was sie tun sollte.
    „Ich dachte, du wolltest nicht“, entgegnete er.
    „Na ja, zum einen steht noch der Tanz aus, den du mir am Prüfungsbankett versprochen hattest. Und zum anderen wird dich das Tanzen sowohl vom pausenlosen Reden als auch vom Schweigen abhalten, weil du damit beschäftigt sein wirst, vor Schmerzen aufzuschreien, wenn ich auf deinen Zehen stehe.“
    Victorian lachte und verbeugte sich vor ihr.
    Feierlich ergriff Eloïse seine Hand und schritt mit ihm auf die Tanzfläche. „Manon nennt dich Torin?“, fragte sie nach einer Weile, um eine Unterhaltung in Gang zu bringen, da er wieder dazu übergegangen war, sie anzustarren.
    „Ja, sie fand, Victorian klinge zu steif für einen kleinen Jungen.“
    „Da hat sie recht.“ Eloïse überlegte. „Torin … klingt fast wie Korin.“
    Er lächelte. „Richtig, deshalb habe ich mich auch beim ersten Waffentraining Harper entgegengeworfen. Ich hatte ‚Torin‘ verstanden statt ‚Korin‘.“
    Beleidigt sah sie ihn an. „Es ging dir gar nicht um mich?“
    „Nein, ich fand dich damals genauso unerträglich wie den Fechtmeister“, gab er unumwunden zu.
    „Na, danke!“, erwiderte sie, woraufhin er sie wieder gedankenverloren ansah. In Gesprächslaune schien Victorian heute Abend wirklich nicht zu sein. „Das ist unser erster gemeinsamer Tanz“, sagte sie nach einiger Zeit, um die aufgekommene Stille zwischen ihnen zu durchbrechen.
    „Aber hoffentlich nicht unser letzter.“
    Sie schüttelte den Kopf. „Nein, es macht mir erstaunlicherweise viel Spaß, mit dir zu tanzen.“
    „Mir auch“, sagte er. „Und du bist mir erst drei Mal auf den Fuß getreten.“
    Eloïse schnitt eine Grimasse. „Alleine das ist ein Grund, weiter zu tanzen – als Strafe für dich.“
    „Mm, damit kann ich leben“, erwiderte er. „Ich bin gespannt, wer von uns beiden länger durchhält.“
     
    „Du hast gewonnen!“ Es war Mitternacht, als Eloïse Victorian gähnend ansah. „Ich muss ins Bett.“
    „So früh gibst du auf?“, wunderte er sich. „Ich hatte mit mehr Kampfgeist gerechnet.“
    „Ich habe die letzten beiden Nächte während meiner Reise nicht gut geschlafen“, erklärte Eloïse. „Die Männer, mit denen ich in einem Raum übernachtet habe, haben alle furchtbar geschnarcht.“
    Victorians Miene verfinsterte sich, aber er erwiderte nichts. „Ich bringe dich zu deinem Zimmer“, sagte er knapp.
    Kopfschüttelnd folgte sie ihm. Victorian verhielt sich heute Abend mehr als sonderbar! Wahrscheinlich ärgerte er sich, dass sie unangemeldet in Walraven erschienen war und er sich nun höflichkeitshalber mit ihr abgeben musste. Seine Wortkargheit bewies ihr nur zu deutlich, dass sie in seinem Leben nichts mehr verloren hatte. Sie brauchte sich keiner Hoffnung mehr hingeben, dass es anders wäre. Aber gut, morgen würde sie abreisen und ihn nicht mehr belästigen – und ihre Träume endgültig begraben.
    Als sie vor ihrem Gästezimmer ankamen, öffnete Victorian die Tür und betrat mit ihr zusammen den Raum, der nur von zwei Kerzen auf der Fensterbank erleuchtet wurde. Er ließ ihren Arm los, ging zum Bett und blickte darunter. Dann schritt er zum Fenster und sah hinter die Vorhänge. Schließlich lief er zu den Truhen und öffnete die Deckel.
    Verwundert kam Eloïse hinter ihm her. „Würdest du mir bitte erklären, was du da gerade machst?“, verlangte sie.
    „Sicherstellen, dass sich kein Mann in deinem Schlafzimmer verbirgt.“
    „Warum?“, fragte sie, verblüfft über seine Antwort.
    Victorian drehte sich zu ihr um. „Weil ich keine anderen Männer mehr in deiner Nähe ertrage“, rief er, „nicht im Festsaal, nicht in Greystone und erst recht nicht in irgendwelchen schäbigen Herbergen!“
    „Und wieso ...?“
    Er packte sie an den Oberarmen und zog sie an sich.

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